Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
es womöglich die Frage, ob sich auf Gespür und Glück wirklich ein Geschäftsmodell aufbauen lasse. Im Verlauf der Krise sollte ich gleichwohl die tiefe Weisheit erkennen, die in dem Bonmot steckt.
So darf es durchaus als glücklicher Zufall für die Deutsche Bank betrachtet werden, dass es ausgerechnet die IKB war, die bereits so früh in der Krise in Schwierigkeiten geriet, und nicht irgendeine andere Bank, etwa im fernen Amerika. Der Warnschuss aus Düsseldorf war in Frankfurt nicht mehr zu überhören. Josef Ackermann zieht daraus seine Schlüsse. Den meisten seiner Kollegen ist er damit um Monate voraus.
Im Herbst nimmt die Selbsterkenntnis in der Branche jedoch allgemein zu. Die britische Hypothekenbank Northern Rock, fünftgrößter Baufinanzierer auf der Insel und für ihre 125 -Prozent-Hypotheken bekannt, muss eine Gewinnwarnung herausgeben, weil die kurzfristige Refinanzierung ihrer langfristigen Ausleihungen nicht mehr funktioniert wie gewohnt. Die Kunden ahnen Böses und belagern das Institut, um ihre Einlagen abzuziehen. Vor den Filialen bilden sich lange Schlangen, die Bank of England sieht sich zu einer unbegrenzten Liquiditätszusage gezwungen und verkündet, es gebe keinen Grund zur Panik.
Doch der Bank-Run setzt sich fort. Um ihn zu stoppen, bleibt der Regierung in London schließlich nur noch übrig, alle Einlagen von Northern Rock, und damit so gut wie alle Einlagen bei irgendeiner britischen Bank, in vollem Umfang zu garantieren. Der psychologische Schaden ist damit allerdings nicht mehr gutzumachen. Die Bilder von Schlange stehenden britischen Bankkunden erinnern an die schlimmen Zeiten der Depression im vergangenen Jahrhundert.
Auch in Deutschland werden die Bürger nervös. Maybrit Illner lädt Josef Ackermann in ihre Talkshow ein. Der Deutsche-Bank-Chef soll den Menschen die Lage erklären. Er will das jedoch nur solo tun, ein Privileg, das normalerweise allein Bundeskanzlern und -präsidenten eingeräumt wird. An einem in solchen Sendungen üblichen Schaukampf um die schönste Sprechblase ist der Schweizer nicht interessiert. In der Situation gilt das offenbar auch für die Macher der Sendung.
Mit seinem nun erstmals auch vor einem Massenpublikum ausgesprochenen Bekenntnis, dass die Branche, sein Haus und er selbst Fehler gemacht hätten, sammelt Ackermann bei den Deutschen Sympathiepunkte. Die Süddeutsche Zeitung erkennt in ihm schon damals einen »reuigen Banker«.
Bei Anlegern weckt die unerwartet deutliche Selbstkritik jedoch Befürchtungen, die Krise könnte tiefer gehen als bisher bekannt und auch die Deutsche Bank nicht ungeschoren lassen. Erste Ticker-Meldungen zu der Interview-Aufzeichnung ohne den vollen Kontext erwecken den Eindruck, der Schweizer habe eine versteckte Gewinnwarnung abgegeben, und lösen einen Kursrutsch der Deutsche-Bank-Aktie um zeitweise über drei Prozent aus. Finanzminister Steinbrück fühlt sich daraufhin sogar bemüßigt, dem größten Geldhaus des Landes ein Unbedenklichkeitstestat zu erteilen – ein Zeichen für die Nervosität, die sich nach Northern Rock in Berlin ausgebreitet hatte: »Die Deutsche Bank«, so Steinbrück, sei »völlig stabil aufgestellt.«
Kritiker meiner neuen Kommunikationspolitik, stärker die Gesamtbevölkerung anzusprechen und nicht mehr nur nahezu ausschließlich die Kapitalmärkte, können ihre Häme kaum verbergen. Das habe man davon, wenn man sich auf Boulevard und Talkshow einlasse, bekomme ich zu hören. Es war zu erwarten, dass der Kursschwenk nicht reibungslos verlaufen würde.
Derweil fällt der Aktienkurs der Bank weiter – ihre großen Wettbewerber in den USA und in der Schweiz haben gerade Milliarden abschreiben müssen. Die Gerüchteküche brodelt. Im dritten Quartal werde Ackermann wohl keinen Gewinn mehr ausweisen können. Im entsprechenden Quartal des Vorjahres waren es noch 1 , 2 Milliarden Euro nach Steuern gewesen.
Um die schädlichen Spekulationen zu beenden, wartet der Schweizer nicht bis zur regulären Verkündigung der Ergebnisse Ende Oktober. Schon am 3 . Oktober, dem deutschen Nationalfeiertag, gibt er bei der traditionellen Bankentagung von Merrill Lynch in London vorläufige Resultate bekannt. Die Investmentbank und Geldmaschine der Frankfurter hat tatsächlich zum ersten Mal seit Jahren einen Verlust produziert. Die Finanzkrise schlägt mit 2 , 2 Milliarden Euro an Abschreibungen zu Buche. Dennoch erzielt die Bank mit Hilfe ihrer anderen Bereiche (Zahlungsverkehr, Vermögensverwaltung
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