Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
direkten Auswirkungen halten sich in Grenzen, aber der Schweizer weiß, dass die indirekten Folgen über den Markt verheerend sein werden. Und dass ihm eine Horrorwoche bevorsteht. Keine Bank würde einer anderen mehr Geld leihen. Er hat jetzt keinen Blick mehr für Akten. Es gibt Wichtigeres zu tun.
Als Ersten ruft er seinen Risikochef Hugo Bänziger an, dann Anshu Jain, den Chef des Wertpapierhandels. Es gilt, die Bank bestmöglich auf das Unvermeidliche vorzubereiten und zu retten, was zu retten ist.
Wie zu erwarten, verpufft am Montag das ohnehin seit Monaten schwer angeschlagene Vertrauen an den Finanzmärkten komplett. Panik bricht aus. Niemand kann mehr sagen, welche Bank jetzt noch sicher ist und welche als Nächste in den Abgrund stürzt. Notenbanken rund um die Welt pumpen Hunderte Milliarden – die EZB an zwei Tagen allein 100 Milliarden Euro – an Extra-Liquidität in die Geldmärkte, damit das System nicht zusammenbricht. Die Fed akzeptiert erstmals Aktien als Sicherheit für die Refinanzierung von Geschäftsbanken.
Die Börsen erleben den schwärzesten Montag seit vielen Jahren. Bankaktien verlieren besonders stark. Der Index für europäische Geldinstitute, der seit Beginn der Finanzkrise schon um fast 50 Prozent abgerutscht ist, gibt um weitere acht Prozent nach. Der Kurs der Deutschen Bank fällt um über sechs Prozent.
Doch das ist noch nicht das Ende – und gar nichts im Vergleich zu einem Papier, das einmal als eines der solidesten galt, der Aktie des größten Versicherungsunternehmens der Welt, American International ( AIG ) in New York. Es bricht am Montag zeitweise um über 70 Prozent ein. Schon am Freitag davor hatte es mehr als 30 Prozent verloren. Die Investoren fürchten um die Überlebensfähigkeit des Assekuranz-Riesen, der sehr stark im riskanten Geschäft mit Kreditausfallversicherungen ( CDS ) auf CDO s engagiert ist.
Seit 2005 müssen Kreditausfallversicherer nicht nur Verluste bei Fälligkeit abdecken, sondern auch schon einen Preisverfall vor Fälligkeit oder eine Herabstufung durch Ratingagenturen über Barzahlungen ausgleichen. Angesichts des rapiden Preisverfalls auf dem Hypothekenmarkt hat AIG daher seit Monaten immer höhere Summen aufzubringen und ist finanziell ausgeblutet. Schon an dem Wochenende, an dem um das Überleben von Lehman und Merrill gerungen wurde, hatte sich AIG -Chef Edward Liddy bei der New Yorker Fed vergeblich um eine Finanzspritze in Höhe von 40 Milliarden Dollar bemüht. An dem Montag, an dem die viertgrößte Bank der USA Konkurs anmeldet, droht auch der Zusammenbruch des weltgrößten Versicherers.
In diesen Tagen bekomme ich von Josef Ackermann so wenig zu sehen und zu hören wie nie zuvor und nie mehr danach in meinen Jahren bei der Bank. Es ist gespenstisch: Nie waren die Tage für mich als Kommunikationschef der Deutschen Bank ruhiger als auf dem Höhepunkt der Jahrhundertkrise. Völlig ungestört kann ich Mittagspause machen und den Abend bei meinem Stammgriechen an der Ecke verbringen. Die Öffentlichkeitsarbeit hat Pause. So muss es sich im Auge eines Orkans anfühlen: Kein Wind, keine Wolken, kein Regen – und dennoch weiß man: Nicht weit entfernt toben Urgewalten und richten schlimme Verwüstungen an.
Seit Sonntagabend telefoniert der Deutsche-Bank-Chef nahezu pausenlos. Es gilt, die Bank so gut wie möglich zu schützen und das Weltfinanzsystem vor dem Kollaps zu retten. Schnelles und entschlossenes Handeln ist gefragt. Den ganzen Montag und auch die halbe Nacht zum Dienstag hängt Ackermann am Telefon, spricht mit Kollegen im eigenen Haus und in anderen Banken, mit Regulierern, Notenbankern und Politikern. »Wir waren nahe am Zusammenbruch des Weltfinanzsystems«, erzählt er mir am nächsten Morgen. » AIG durfte auf keinen Fall auch noch umkippen. Das hätte dem Ganzen den Rest gegeben.« Bundesfinanzminister Steinbrück, der am Montag seinen amerikanischen Kollegen beschworen hatte einzugreifen, drückt es so aus: »Ein Untergang von AIG wäre zum Super- GAU geworden. Wir haben alle in einen Abgrund geblickt.«
Die Interventionen aus aller Welt bestätigen Hank Paulson nur, was er ohnedies weiß: Eine Pleite des Versicherungsriesen, zumal mitten in den Turbulenzen nach Lehman, würde eine globale Kettenreaktion auslösen, die das Weltfinanzsystem und mit ihm die Weltwirtschaft kollabieren ließe. Fast alle der 500 größten US -Unternehmen sind AIG -Kunden. Es drohen Hunderte von Milliarden Dollar an Verlusten allein bei
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