Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Finanzinstituten rund um den Globus, wenn der Versicherer fällt. Er ist definitiv zu groß und zu vernetzt, um ihn untergehen zu lassen. AIG muss um jeden Preis gerettet werden. Selbst um den Preis des Machtverlusts der regierenden Republikaner.
Und so springt die US -Administration, wenige Tage nachdem sie sich geweigert hatte, Lehman Brothers zu retten, in die Bresche. Die Fed gibt AIG einen ersten Notkredit in Höhe von 85 Milliarden Dollar. Im Laufe der folgenden Monate schwellen die Hilfszahlungen an den Versicherer bis auf rund 180 Milliarden Dollar an. Der Staat übernimmt fast 80 Prozent an dem Unternehmen.
Ein halbes Jahr danach wird bekannt, dass zur vollständigen Erfüllung von Verpflichtungen aus Kreditversicherungen auf CDO s im Zuge der AIG -Rettung auch fast 13 Milliarden Dollar brutto allein an Goldman Sachs und je fast zwölf Milliarden an die französische Großbank Société Générale sowie an die Deutsche Bank geflossen sind.
Später wird der New Yorker Fed-Chef Timothy Geithner, inzwischen zum Finanzminister in Washington avanciert, gefragt, warum er diesen Banken keinen teilweisen Forderungsverzicht abverlangt, im Fachjargon: »Hair Cut«, sondern die Zahlungsverpflichtungen von AIG zu 100 Prozent erfüllt habe. Seine Antwort: Dies hätte zu einer Herabstufung des Unternehmens durch die Ratingagenturen geführt und weitere Zahlungsverpflichtungen ausgelöst.
Die Deutsche Bank und die anderen Gläubiger sind noch einmal davongekommen – auch wenn das AIG -Risiko der Deutschen nach Abzug entgegenstehender Positionen und Sicherheiten nur einen Bruchteil der genannten zwölf Milliarden Dollar betragen hat.
Selbst die Übernahme des Versicherers durch den Staat vermag die Märkte jedoch nicht zu beruhigen. Nach der Lehman-Pleite sacken die Kurse von Goldman Sachs und Morgan Stanley trotz durchaus robuster Quartalszahlen um über 20 bzw. 30 Prozent ab. Der Markt stellt das Überleben der beiden letzten verbliebenen reinen Investmentbanken als selbständige Adressen in Frage. Gerüchte über Fusionen mit diversen Geschäftsbanken machen die Runde. Die beiden Institute erklären daraufhin, sich künftig wie diese schärfer beaufsichtigen zu lassen, und erhalten dafür Zugang zu den besseren Refinanzierungsmöglichkeiten bei der Fed.
Am Mittwoch kommt trotz der Rettung von AIG und der riesigen Liquiditätsspritzen der Notenbanken der sogenannte Interbankenmarkt praktisch zum Erliegen – Banken leihen sich untereinander kein Geld mehr. Der globale Geldverkehr und mit ihm die gesamte Weltwirtschaft stehen kurz vor dem Infarkt. »Das stellt alles in den Schatten, was ich je gesehen habe«, sagt mir mein Chef, als wir am späten Nachmittag einmal kurz telefonieren.
In der Tat hatte es eine solche Situation seit der Weltwirtschaftskrise 1929 nicht mehr gegeben. Investoren ziehen enorme Summen aus Finanzinstituten ab und schichten sie in Staatsanleihen um. In Deutschland versucht die BaFin Anleger zu beruhigen, die um ihre Ersparnisse bangen: Es gebe »keinen Zweifel, dass die Einlagensicherung ihren Verpflichtungen nachkommen« könne. Die Hauptschlagzeile der Financial Times am Donnerstag dieser schwarzen Woche lautet: »Kreditpanik erreicht historische Ausmaße«.
Die systemische Krise, die kaum jemand für möglich gehalten hatte, ist da. Und sie verlangt nach einer systemischen Antwort. Das heißt: Nur die Regierungen können jetzt noch einen Zusammenbruch des Finanz- und Wirtschaftssystems verhindern.
Am Freitagmorgen tritt der scheidende amerikanische Präsident Bush vor die Fernsehkameras. An seiner Seite Finanzminister Paulson, Notenbankpräsident Ben Bernanke und der Chef der Börsenaufsicht SEC , Christopher Cox. »In der Geschichte unserer Nation«, sagt Bush mit feierlicher Stimme, »gab es Momente, in denen wir jenseits aller Parteien zusammenkamen, um gewaltige Herausforderung zu bestehen. Dies ist so ein Moment.« Es gelte, »die gesamte amerikanische Wirtschaft zu retten«.
Im Mutterland des Kapitalismus werden die bisher gültigen Spielregeln außer Kraft gesetzt. Die Regierung in Washington kündigt einen Hilfsfonds im Umfang von bis zu 700 Milliarden Dollar an. Mit dem Geld sollen Finanzinstituten faule Kredite abgekauft werden. Finanzminister Paulson fordert andere Länder auf, es den USA gleichzutun.
Das ist die Botschaft, auf die die Märkte gewartet haben. Die Regierungen der Welt sind offenbar entschlossen, einen Zusammenbruch des Finanzsystems zu verhindern – koste
Weitere Kostenlose Bücher