Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
Aufsichtsbehörden und Zentralbanken suchen.
Durch seine entschlossene Vorwärtsverteidigung ist Josef Ackermann in nicht einmal einem Jahr zum allseits anerkannten Sprecher des globalen Geldgewerbes aufgestiegen. Die New York Times beschreibt ihn als »Botschafter der Finanzbranche« und »richtigen Mann für diese Zeit«. In den Sommerwochen des Jahres 2008 erhält der Schweizer zudem eine Reihe von weiteren ehrenvollen Berufungen: Der Öl-Multi Shell holt ihn in seinen Aufsichtsrat, und die Goethe-Universität in Frankfurt ernennt ihn zum Honorarprofessor. Es ist bereits der zweite Anlauf. Der erste war nach dem Victory-Zeichen im Mannesmann-Verfahren nach studentischen Protesten abgebrochen worden.
Die Finanzkrise macht derweil keine Pause. Anfang Juni werden neue Spekulationen über hohe Abschreibungen und einen Milliarden-Kapitalbedarf bei der amerikanischen Investmentbank Lehman Brothers laut. Die Ratingagentur Standard & Poor’s stuft die Kreditwürdigkeit von Lehman sowie Merrill Lynch und Morgan Stanley herab. Am 10 . Juni bestätigen sich die Befürchtungen: Lehman hat im zweiten Quartal nahezu drei Milliarden Dollar Verlust gemacht.
Die an der Wall Street zunächst wie ein Rockstar gefeierte Finanzchefin Erin Callan kündigt eine »vorsorgliche« Kapitalerhöhung um sechs Milliarden Dollar an. Anfang April hatte sie das Kapital schon einmal ebenfalls »vorsorglich« um drei Milliarden Dollar aufgestockt. Ihre Glaubwürdigkeit ist aufgebraucht. Der Aktienkurs der Bank sackt um zwölf Prozent ab. Wenige Tage später muss Callan nach nur sechs Monaten im Amt gehen. Erstmals wird auch der Abgang von Lehman-Chef Richard (»Dick«) Fuld diskutiert, des dienstältesten aller US -Investmentbankbosse.
Doch es kommt noch schlimmer: Zuerst versinkt Indy Mac, der größte unabhängige Baufinanzierer der USA , im Hypothekenstrudel, dann müssen die Regierung in Washington und die Fed gemeinsam die beiden größten Hypothekenbanken des Landes, Fannie Mae und Freddy Mac, stützen. Mit fünf Billionen Dollar vereinen diese zusammen rund die Hälfte der Eigenheimdarlehen im Lande auf sich. Von Tag zu Tag mehr sieht Josef Ackermann seine Befürchtung bestätigt, dass die Selbstheilungskräfte der Märkte diesmal nicht ausreichen.
Anfang Juli tauchen auch Gerüchte über eine bevorstehende Gewinnwarnung der Deutschen Bank auf. Der Kurs fällt auf den tiefsten Stand seit fünf Jahren. Um den Spekulationen schnell den Boden zu entziehen, lässt Josef Ackermann fast einen Monat vor dem offiziellen Termin wissen, dass sein Haus im zweiten Quartal einen Gewinn ausweisen werde und kein neues Kapital brauche. Zusätzlich gibt das Geldhaus bekannt, einen großen Teil des Firmenkundengeschäfts der holländischen ABN Amro-Bank zu erwerben. Der Kurs dreht daraufhin deutlich ins Plus. Mitte des Monats erklärt der Deutsche-Bank-Chef zum Erstaunen des Publikums dann sogar, »der Anfang vom Ende der Krise« sei »in Sicht«.
Seinen Optimismus bezieht der Schweizer aus den Zahlen der Bank. Zwar muss sie noch einmal beachtliche Wertkorrekturen in Höhe von 2 , 3 Milliarden Euro vornehmen. Seit Ausbruch der Krise addieren sich diese damit inzwischen auf 7 , 3 Milliarden Euro. Auch schreibt die Investmentbank erneut einen Verlust. Gegenüber dem Vorjahr sackt das Ergebnis der Gesamtbank trotz weiterer Beteiligungsverkäufe um insgesamt rund drei Viertel vor Steuern ab. Mit knapp 645 Millionen Euro bleibt es aber anders als im Vorquartal diesmal im Plus. Gleichwohl nimmt Standard & Poor’s das vor Jahresfrist erhöhte Rating wieder zurück.
Ironie des Schicksals: Just zu der Zeit, da Banker zunehmend als Zocker und das Investmentbanking als Kasino-Banking verschrien sind und Josef Ackermann alles tut, um dieses Image loszuwerden, wird die Deutsche Bank Besitzerin einer richtigen Spielbank. Ian Bruce Eichner, der Entwickler des Cosmopolitan Resort & Casino am weltberühmten »Strip«, der Hauptstraße des Spielerparadieses Las Vegas, ist zahlungsunfähig geworden. Die Deutschbanker hatten ihm für das Projekt rund eine Dreiviertelmilliarde Dollar geliehen. Alle Versuche, einen anderen Investor zu finden, schlagen fehl. »Sin City«, wie die Stadt in der Wüste auch genannt wird, ist so toxisch wie die Wall Street geworden. Die Bank steht vor der Entscheidung, den Kredit in den Wind zu schreiben oder noch einmal Geld in die Hand zu nehmen, um den begonnenen Komplex aus Apartmenthochhaus, Hotel, Resort & Kasino in eigener Regie
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