Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
fertigzustellen, auf bessere Zeiten zu warten und dann zu verkaufen.
Der Vorstand entscheidet sich dafür, den Einsatz zu erhöhen. Doch in der Stadt des Glückspiels hat Josef Ackermann kein Glück. Beim Bau der Tiefgarage stoßen die Bauarbeiter auf eine unterirdische Wasserader, die den spektakulären Springbrunnen vor dem benachbarten »Bellagio« versorgt. Aufwendige Isoliermaßnahmen und Pumpanlagen sowie die Aufwertung des gesamten Objekts zu einer Luxus-Anlage verzögern seine Fertigstellung und verteuern es beträchtlich.
Als »Joe’s Kasino«, wie der Stern es nennt, zum Jahreswechsel 2010 / 11 mit einer großen Party schließlich eingeweiht wird – der Rapper-Star Jay-Z und die Softrockband Coldplay spielen den Gästen auf –, hat es alles in allem an die vier Milliarden Dollar gekostet. »Es ist die größte Wette«, so die britische Sunday Times über das Projekt, »die je jemand in Vegas abgeschlossen hat«. Unabhängige Analysten schätzen, dass es mindestens 15 Jahre dauern wird, bis die Bank das Geld für ihre Investition wieder zurückbekommen kann – wenn überhaupt. Von einer 25 -Prozent-Rendite ganz zu schweigen. Bis 2011 müssen die Frankfurter über 800 Millionen Euro auf das Cosmo (Werbung: »Just the right amount of wrong«) abschreiben – mehr als wenn sie das Projekt 2008 einfach aufgegeben hätten. Doch da, auf dem Höhepunkt der Finanzkrise, hätten die Abschreibungen mehr geschmerzt.
Im August 2008 sind die Augen der Welt allerdings nicht auf Las Vegas und auch nicht auf die Wall Street gerichtet, sondern auf Peking. Mitten in der größten Finanzkrise seit Jahrzehnten beginnen in Chinas Hauptstadt die teuersten und bombastischsten Olympischen Sommerspiele der Neuzeit. Josef Ackermann sitzt bei der Eröffnungsfeier auf Einladung seines Freundes Wang Qishan, oberster Verantwortlicher des Landes für die Spiele, auf der VIP -Tribüne im Vogelnest-Stadion. Die beiden haben sich bei den alljährlichen Treffen des internationalen Beraterkreises von Peking kennengelernt, als Wang Oberbürgermeister der Metropole war. Die Finanzkrise scheint in diesen Tagen weit weg.
Aber es scheint nur so. Während die Jugend der Welt im Reich der Mitte sportlich miteinander wetteifert, kämpfen ruhmreiche Banken an der Wall Street ums nackte Überleben. »Das Schlimmste kommt noch«, prophezeit der Harvard-Professor und Ex-Chefökonom des IWF , Kenneth Rogoff. Er erwarte demnächst den Untergang einer großen Bank, einen »echten Klopper«.
Er sollte recht behalten. Der »Klopper« heißt Lehman. Die Finanzwelt blickt in den Abgrund. Und kurz darauf tut sich in Deutschland ein weiterer auf. Josef Ackermann sieht sich vor die härteste Bewährungsprobe seines Lebens gestellt.
Kapitel 6
Blick in den Abgrund
Schon Wochen bevor Dick Fuld, der langjährige Chef von Lehman Brothers, das Ergebnis des dritten Quartals veröffentlichen will, schwellen die Gerüchte über weitere Milliarden-Abschreibungen und -Verluste bei der viertgrößten Investmentbank der USA an. Um dringend benötigtes Eigenkapital zu beschaffen, stellt sie ihre Vermögensverwaltungstochter Neuberger Berman zum Verkauf. Die Firma zählt zum Tafelsilber der Bank. Ihr Wert wird auf etwa zehn Milliarden Dollar taxiert.
Daneben sieht sich Fuld auch nach neuen Kapitalgebern um. Sein Favorit ist die staatlich kontrollierte Korea Development Bank ( KDB ), vergleichbar der deutschen KfW. Ihr Chef, zuvor Leiter der Lehman-Niederlassung in Seoul, zeigt Interesse an einer Beteiligung. Aber Fuld hat den Ernst der Lage offenbar noch immer nicht voll erfasst – er verlangt einen unrealistisch hohen Preis. Zudem mahnt die südkoreanische Finanzaufsicht zur Vorsicht. Die KDB zögert. Den Amerikanern läuft die Zeit davon, die Märkte werden immer nervöser.
Am Montag, dem 8 . September, sickert durch, dass die Koreaner nicht mehr interessiert sind. Der Aktienkurs von Lehman bricht um über 40 Prozent ein. Fuld will die Gemüter besänftigen. Am Mittwoch kündigt er ein radikales Schrumpfkonzept an und legt vorläufige Quartalszahlen vor. Sie sind weniger dramatisch als erwartet. Dennoch trauen Geschäftspartner und Kunden dem Braten nicht und ziehen weiter Geld ab. Am Donnerstag verliert die Aktie noch einmal über 40 Prozent.
Die Spitzen der internationalen Finanzwelt sind aufs Höchste alarmiert und versuchen mit Durchhalteparolen eine allgemeine Panik zu verhindern. Der Vize-Direktor des IWF John Lipsky erklärt, der »Boden der Entwicklung«
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