Späte Reue: Josef Ackermann – eine Nahaufnahme (German Edition)
12 . Oktober 2008 einigt sich Europa auf die größte Banken-Hilfsaktion seiner Geschichte. Die strengen Abschreibungsregeln für Vermögenswerte auf den aktuellen Zeitwert (Fair Value), die in der allgemeinen Ausverkaufsstimmung wie ein Brandbeschleuniger wirken, werden gelockert. Und jedes Land soll sein Bankensystem mit ausreichend Kapital versorgen.
Die Deutschen haben dazu den Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung, kurz Soffin genannt, vorgesehen. Während Briten und Amerikaner ihre Banken praktisch zwingen, Staatsgeld zu nehmen, scheut die große Koalition aus CDU / CSU und SPD einen solchen Schritt. Sie setzt lieber auf Freiwilligkeit. Für Josef Ackermann und die Deutsche Bank sollte dies von großer Bedeutung sein.
Am Montag, dem 13 . Oktober, verabschiedet das Kabinett auf einer Sondersitzung den Entwurf des sogenannten Finanzmarktstabilisierungsgesetzes. Er sieht für die deutsche Bankenbranche einen Rettungsschirm im Umfang von bis zu 500 Milliarden Euro vor: 400 Milliarden für Kreditbürgschaften, 80 Milliarden für direkte Staatsbeteiligungen und 20 Milliarden für Ausfallvorsorge. Das Geld soll der Soffin verwalten.
Vor der Kabinettssitzung war Bundeskanzlerin Merkel mit Josef Ackermann den Entwurf am frühen Montagmorgen in ihrem Büro ein letztes Mal durchgegangen. Sie will sich vergewissern, dass das Gesetz auch die gewünschte Wirkung auf den Finanzmärkten entfaltet. Um rechtzeitig im Kanzleramt in Berlin zu sein, hatte der Deutsche-Bank-Chef am Sonntagabend schon nach einer halben Stunde das Konzert mit dem chinesischen Klaviervirtuosen Lang Lang im Washingtoner Kennedy-Center verlassen, zu dem sein Haus eingeladen hatte.
Während ich ihn zu der schon mit laufendem Motor wartenden Limousine, die ihn zum Flughafen bringen soll, nach draußen begleite, zeigt sich der Musikliebhaber kein bisschen traurig darüber, dass er nicht bleiben kann. Im Gegenteil: Er scheint es kaum erwarten zu können, nach Berlin zu kommen. Zum ersten Mal verstehe ich wirklich, was er meinte, als er einmal sagte, er sei gerne bei »großen Dingen« dabei. In diesen Oktoberwochen des Jahres 2008 , als das Schicksal der Weltwirtschaft auf des Messers Schneide steht, lebt Josef Ackermann so intensiv wie nie zuvor.
Es sind historische Zeiten, Finanz- und Wirtschaftsgeschichte wird geschrieben. Auch Parlamentsgeschichte: Damit der Rettungsschirm möglichst schnell aufgespannt werden kann, stimmt die Opposition einer Fristverkürzung für Anhörungen und Einspruchsrechte zu. Noch in derselben Woche verabschieden Bundestag und Bundesrat das Finanzmarktstabilisierungsgesetz, Bundespräsident Köhler unterschreibt, und am Freitag, dem 24 . Oktober, tritt es bereits in Kraft. Das ist Rekordzeit. Das parlamentarische System erweist sich zu raschem Handeln fähig, wenn es sein muss.
Und die Börsen jubeln. Dax und Dow Jones schießen um jeweils elf Prozent nach oben. Die Bürger fassen neues Vertrauen. Die Bargeldauszahlungen normalisieren sich. Die Finanzkrise ist damit zwar noch längst nicht zu Ende, weitere Bewährungsproben sind zu bestehen, weitere Abschreibungen und Verluste zu verkraften. Aber der Abgrund, in den die Welt im Herbst des Jahres 2008 mehrmals zu stürzen drohte, rückt Stück für Stück weiter weg.
Auch Josef Ackermann ist zum ersten Mal seit langer Zeit wieder richtig gut gelaunt. »Washington war die Wende«, sagt er mir, und es klingt diesmal nicht nach Pfeifen im Walde. Er erkundigt sich sogar danach, ob ich Lang Lang nach dem Konzert ordentlich betreut hätte. Seine Sorgen haben offenkundig spürbar nachgelassen.
Nun beginnt die Zeit des Aufräumens. Die Lehren aus der Krise sind zu ziehen und umzusetzen. In den einzelnen Finanzinstituten und in der Branche insgesamt. Nach dem Krisenmanager ist nun der Reformer Josef Ackermann gefragt.
Kapitel 7
Zwischen Triumph und Demut
Während am Donnerstag, dem 16 . Oktober 2008 , im Berliner Reichstag die parlamentarische Beratung des Finanzmarktstabilisierungsgesetzes in die letzte Runde geht, haben sich rund 200 Führungskräfte, die wichtigsten Entscheidungsträger der Deutschen Bank, zu ihrer alljährlichen Tagung versammelt. Ursprünglich sollte das Treffen, das immer zwischen den Kontinenten wechselt, in Washington stattfinden. Wegen der brisanten Lage auf den Finanzmärkten gibt es diesmal aber nur eine Video- bzw. Telefonkonferenz aus Frankfurt heraus. Im Ausweichquartier der Bank an der Messe – die beiden Türme der Bankzentrale an der
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