Späte Schuld
Gesamtsequenz. Geschwister und Personen, die mütterlicherseits verwandt sind, weisen identische mitochondriale DNA-Sequenzen in den genannten Regionen auf, wohingegen Personen, die nicht über die mütterliche Linie verwandt sind, durchschnittlich etwa zehn nukleotide Unterschiede aufweisen.«
»Und was bedeutet es, wenn jemand ›beinahe‹ übereinstimmt?«
»Na ja, die allgemeine Regel besagt Folgendes: Wenn die Sequenzen identisch sind, sprechen wir von ›kann nicht ausgeschlossen werden‹. Wenn die beiden Proben sich in zwei oder mehr Nukleotiden unterscheiden, sprechen wir von einem Ausschluss. Und wenn es nur an einer Stelle eine nukleotide Abweichung gibt, sprechen wir von einem nicht eindeutigen Ergebnis.«
»Und das haben wir hier vorliegen?«
»Nein. In diesem Fall haben wir zwei Abweichungen vorliegen.«
»Aber dann ist es doch ein Ausschluss.«
»Eigentlich schon, aber wir müssen auch ein paar andere Faktoren berücksichtigen. Zunächst einmal gibt es da etwas, was sich Heteroplasmie nennt.«
»Na dann erklären Sie mal«, forderte ihn Bridget auf, der allmählich klar wurde, dass Alvarez dieses »Ich weiß was, was Sie nicht wissen«-Spielchen genoss.
»Heteroplasmie ist, wenn eine Einzelperson über mehr als einen mitochondrischen DNA-Typ verfügt.«
»Und wie kommt das zustande?«
»Der zusätzliche DNA-Typ entsteht durch Mutation. Mitochondrische DNA mutiert durch Zellenwachstum und Zellteilung.«
»Und was heißt das für Ihren Befund?«
»Nun ja, in der Fingernagelprobe konnten wir Bethel Newton mithilfe ihrer Referenzprobe als Hauptspenderin identifizieren. Aber dann haben wir uns die entsprechende Sequenz des Nebenspenders angesehen – von dem wir annehmen, dass es der Täter ist – und festgestellt, dass sie fast mit der von Manning übereinstimmt, aber es gab eben auch zwei heteroplasmische Stellen in der Sequenz, die keinerlei Übereinstimmung mit Mannings Referenzprobe aufwiesen.«
»Und was bedeutet das?«, fragte Bridget.
»Das ist es ja gerade: Normalerweise ist es bei einer Referenzprobe viel wahrscheinlicher, dass sie vollständig ist, weil Entnahme und Aufbewahrung unter sehr sauberen, klinischen Bedingungen erfolgen. Ob die Probe nun vom Verdächtigen oder vom Opfer stammt, sie müsste eigentlich vollständig sein, nicht wahr?«
»Ich denke schon.«
»Wenn es also Mutationen gibt, dann würde man sie in der Referenzprobe erwarten – die immer eine gute Probe ist – oder in der Referenzprobe und der Fingernagelprobe.«
»Stimmt«, gab ihm Bridget recht.
»Aber in diesem Fall haben wir die Mutationen nur beim Nebenspender der Fingernagelprobe gefunden und nicht in Mannings Referenzprobe.«
»Ist es möglich, dass die DNA der Fingernagelprobe mutiert ist, nachdem sie entnommen wurde?«
»Nein. Mutationen finden nur in lebenden Zellen statt, die sich teilen und reproduzieren. Ein weiterer Grund dafür, dass Mutationen eher in einer Referenzprobe auftauchen, ist die Tatsache, dass sie dem Opfer oder Täter nach dem Verbrechen entnommen wird. Die Mutation hätte also in der Zwischenzeit stattfinden können, nach der Tat, aber vor Entnahme der Probe, falls Sie verstehen, was ich meine.«
»Sie glauben also, dass die DNA der Fingernagelprobe nicht von Manning stammen kann?«
»So weit würde ich gar nicht gehen. Aber nach den üblichen Maßstäben müssten wir von einem Ausschluss oder im besten Fall von einem nicht eindeutigen Ergebnis sprechen. Allerdings ist die Tatsache, dass die Proben beinahe übereinstimmen, ziemlich überraschend. Mutationen finden normalerweise bei älteren Menschen statt. Ein solches Ergebnis würde man also erwarten, wenn der Nebenspender ein älterer weiblicher Verwandter von Manning wäre.«
Bridget musste schmunzeln. »Tja, ich denke, wir können mit Sicherheit ausschließen, dass Bethel Newton Louis Mannings Mutter ist.«
Mittwoch, 2. September 2009 – 10.05 Uhr
»Ich will wissen, warum Sie sie vorgeladen haben.«
Alex und Andi waren unterwegs zum Büro der Richterin und hatten sich hinter Sarah Jensen und Nick Sinclair zurückfallen lassen, um außer Hörweite zu sein.
»Diesmal nicht, Alex. Sie haben mich schon so oft überredet, aber diesmal müssen Sie sich meinem Urteil anschließen und mir einfach vertrauen.«
»Dann verraten Sie mir wenigstens, was sie aussagen wird.«
»Das weiß ich nicht.«
»Dann sagen Sie mir, für welche Aussage Sie sie vorgeladen haben … was Sie von ihr zu hören hoffen .«
»Das ist
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