Späte Schuld
überschrieben?
Mittwoch, 2. September 2009 – 09.20 Uhr
»Aber das ergibt doch überhaupt keinen Sinn«, sagte Bridget.
Sie saß in einem Mietwagen auf dem Parkplatz des San Francisco International Airport und telefonierte mit Victor Alvarez. Um Sarah Jensen am alles entscheidenden Tag des Claymore-Prozesses zu unterstützen, war sie extra aus L.A. angereist. Falls der Prozess fortgesetzt wurde, erwartete die Anklage ein steiler Weg bis zum Sieg, und falls nicht, würde es sie unendlich viel Mühe kosten, Bethel Newton zu einer erneuten Aussage im Wiederaufnahmeverfahren zu überreden.
»Genau das hat Paul Greenberg auch gesagt. Aber er hat es mehrmals überprüft, und es stimmt: Die betreffende Person – um wen auch immer es sich dabei handelt – hat die echte Datei, die von einem Computer des kriminaltechnischen Labors hochgeladen wurde, gelöscht und sie anschließend durch eine identische Kopie ersetzt. Diese Kopie wurde von einem Remote-Computer hochgeladen.«
»Warum sollte jemand so etwas Absurdes tun?«
»Vielleicht wusste die Person, die es getan hat, nicht, dass die Profile identisch sind.«
Bridget versuchte, Dr. Alvarez’ Ausführungen zu folgen, während sie sich ihren Weg aus dem Flughafenparkplatz bahnte. Sie war nicht gerade begeistert von der Aussicht, sich im Berufsverkehr über die Bay Bridge quälen zu müssen.
»Wissen wir schon, wer es getan hat?«
»Greenberg sagt, dass er seine Informationen ans FBI weitergegeben hat, und im Radio habe ich gehört, dass Andi Phoenix verhaftet wurde. Aber sie wurde gegen ihre Zusicherung, zum nächsten Gerichtstermin zu erscheinen, wieder auf freien Fuß gesetzt. Wir müssen wohl auf die Vorvernehmung warten.«
»Das hilft uns also erst mal auch nicht weiter bei der Frage, wer Bethel Newton vergewaltigt hat.«
»Das allein nicht, nein«, pflichtete ihr Alvarez bei. »Wie es aussieht, gibt es nach wie vor zwei Verdächtige, von denen keiner genetisch ausgeschlossen werden kann. In beiden Fällen ist die Wahrscheinlichkeit eins zu fünfhundert.«
»Es ist sogar noch schlimmer, Victor: Wir haben einen Verdächtigen, der vom Opfer identifiziert wurde, und einen zweiten, der vom Alter her passen würde. Auf den zweiten trifft die Täterbeschreibung jetzt zu, auf den ersten vor dreißig Jahren. Wir haben einen Verdächtigen, der genau das Auto besitzt, das das Opfer beschrieben hat, und einen, der am Steuer dieses Auto erwischt wurde, und zwar mit falschen Nummernschildern. Wir haben einen Verdächtigen, der in seiner Jugend ein Vergewaltiger war, und einen, der zwar nicht für Vergewaltigung vorbestraft ist, aber versucht hat, eine Reporterin zu vergewaltigen, die über den Fall berichtete.«
»Ich habe weder Nick Sinclair noch Sarah Jensen auf dem Handy erreicht«, sagte Alvarez. »Und beim Oberstaatsanwalt von Alameda möchte ich lieber keine Nachricht hinterlassen, weil ich nicht will, dass die beiden Ärger kriegen.«
»Wahrscheinlich sind sie gerade auf dem Weg über die Bay Bridge. Ich weiß, dass Nick Sinclair in San Francisco wohnt, und vielleicht ist Sarah Jensen bei ihm untergekommen. Zum Gericht fahren sie jedenfalls immer zusammen.«
»Na ja, wenn ich sie weiterhin nicht erreiche, müssen Sie ihnen von der Neuigkeit erzählen.«
»Aber wenn die Ergebnisse identisch sind, spielt es doch eigentlich keine Rolle.«
»Wir haben aber noch ein paar zusätzlicheErgebnisse zu vermelden.«
»Was meinen Sie mit ›zusätzlich‹?«, fragte Bridget.
»Wir hatten doch noch eine weitere Nagelprobe – von der anderen Hand.«
»Aber brauchen wir die überhaupt? Hatten Sie nicht gesagt, dass Ihr Computerexperte die Originaldatei des zweiten DNA-Tests wiederherstellen konnte?«
»Ja, aber mit dem aus der Fingernagelprobe der rechten Hand gewonnenen Blut haben wir vorsichtshalber trotzdem einen mitochondrischen DNA-Test durchgeführt.«
»Und das Ergebnis haben Sie bereits vorliegen?« Sie konnte ihre Erregung kaum verbergen.
»Genau das versuche ich Ihnen ja gerade mitzuteilen. Die mitochondrische DNA schließt Claymore als Täter aus und stimmt beinahe vollständig mit Louis Manning überein.«
»Beinahe vollständig?«
»Ja. Das ist ein wenig kompliziert. Bei mitochondrischen DNA-Tests werden zwei Nukleotid-Sequenzen des mitochondrialen DNA-Rings betrachtet. Das nennt sich hypervariable Region. Jede Sequenz hat eine Länge von 350 Nukleotiden. Der Test betrachtet keine Sequenzwiederholungen, sondern einzelne Nukleotide in der
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