Späte Schuld
dieselbe Frage, nur anders formuliert.«
»Ich könnte beschließen, die Zeugenaussage nicht zuzulassen. Ich bin immer noch Hauptverteidiger in diesem Fall.«
»Dann machen Sie aber unsere beste Chance zunichte, den Mandanten von allen Vorwürfen reinzuwaschen.« Sie blieb stehen und zwang ihn so, ebenfalls stehen zu bleiben. Dann blickte sie ihm ernst in die Augen und sagte: »Es ist Ihre Entscheidung, Alex.«
Alex Sedaka betrachtete Andi Phoenix und sah plötzlich eine ganz andere Person als die, mit der er in den vergangenen Wochen zusammengearbeitet hatte. Vor ihm stand eine kämpferische, selbstsichere Frau, in deren Blick keinerlei Angst, ja nicht einmal ein Anflug von Zweifeln zu erkennen war. Diese Frau wusste, dass sie sich auf felsenfestem Terrain bewegte.
Aber es war das Wörtchen »unser«, das den Ausschlag gab. Sie hatte »unsere beste Chance« gesagt, und das hieß, dass sie sich voll für die gemeinsame Sache einsetzte.
Alex zuckte mit den Schultern und lächelte, ein unausgesprochenes Zeichen der Einwilligung.
Richterin Wagner erwartete sie bereits in ihrem Büro.
»Hiermit eröffne ich diese Verhandlung unter Ausschluss der Öffentlichkeit«, verkündete sie. »Ich nehme an, dass Sie inzwischen Zeit hatten, den Inhaftierungsbericht und das Vorstrafenregister von Louis Manning zu lesen, Mr Sedaka.«
»Ja, Euer Ehren.«
Er hatte tatsächlich beides von vorn bis hinten gelesen und war verblüfft gewesen über das, was sich ihm darin offenbarte. Louis Manning entsprach nicht nur genau Bethel Newtons ursprünglicher Täterbeschreibung und dem computergenerierten Fahndungsbild, sondern war auch am Steuer von Claymores gestohlenem Wagen erwischt worden – was bewies, dass Claymore von Anfang an die Wahrheit gesagt hatte und sein Auto wirklich gestohlen worden war. Alex fragte sich nur, wie er diese Tatsache als Beweis vorlegen konnte, ohne auch die neuen Testergebnisse vorzulegen, die seinen Mandanten eher belasteten.
»Und sind Sie zu einer Entscheidung darüber gelangt, ob Sie auf Ungültigkeit des Verfahrens mit anschließender Wiederaufnahme plädieren oder den Prozess fortsetzen wollen?«
»Wir möchten weitermachen, Euer Ehren.«
Ellen Wagner wandte sich an Sarah Jensen und Nick Sinclair. »Und die Anklage?«
Nick zuckte mit den Schultern und überließ Sarah das Wort. »Wir sind nur bereit, den Prozess fortzusetzen, wenn die Ergebnisse der neuen Tests mit einbezogen werden.«
Die Richterin wandte sich wieder an Alex. »Haben Sie diesbezüglich schon einen Entschluss gefasst, Mr Sedaka?«
»Noch nicht, Euer Ehren.«
Die Richterin wirkte überrascht.
»Wir wissen noch nicht, ob das nötig sein wird«, erklärte Alex. »Und solange wir das nicht wissen, können wir auch keinen Beschluss fällen.«
»Aber die Anklagevertretung muss ebenfalls entscheiden, ob sie auf Ungültigkeit des Verfahrens plädiert oder fortfährt. Wie kann sie sich diesbezüglich eine Meinung bilden, ohne Ihren Beschluss zu kennen?«
»Das Dilemma verstehe ich natürlich«, gab Alex zu. »Aber von Rechts wegen steht es uns zu, während unserer Beweisführung jederzeit zu entscheiden, ob wir einen bestimmten zulässigen Beweis vorlegen oder nicht. Die Offenlegungserklärung bezieht sich auf das, was vorgelegt werden könnte , nicht auf das, was tatsächlich vorgelegt wird . Selbst die Offenlegungserklärung der Anklage verpflichtet diese nicht dazu, einen Zeugen auch wirklich aufzurufen oder einen bestimmten Beweis tatsächlich vorzulegen. Die Anklagevertretung weiß, dass die neuen Testergebnisse als zulässiges Beweismittel existieren und von der Verteidigung vorgelegt werden könnten. Wir sind nicht dazu verpflichtet, im Voraus anzukündigen, was wir tun werden. Wir kündigen nur an, was wir eventuell tun. Das muss als Entscheidungsgrundlage genügen.«
»Und wann wissen Sie, ob Sie die Testergebnisse vorlegen?«
Alex sah Andi fragend an, die daraufhin das Wort ergriff: »Nach Aufruf unserer nächsten Zeugin: Eugenia Vance.«
»Euer Ehren, das ist ein weiteres Thema, über das ich mit Ihnen sprechen wollte«, sagte Sarah. »Diese Zeugin wurde uns erst angekündigt, nachdem ihr eine Eilvorladung zugestellt wurde.«
Die Richterin sah Andi streng an. »Das ist schon problematisch, nicht wahr, Mrs Phoenix? Sie haben diese Eilvorladung beim Kammergericht von Ventura County erwirkt und so die übliche Verfahrensweise und das Protokoll umgangen.«
»Euer Ehren, ich weiß, dass es üblich ist, eine Vorladung
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