Späte Schuld
war er noch nicht bereit dazu, David und Debbie von ihr zu erzählen. Martine hoffte, dass die beiden sie akzeptieren würden, wenn es einmal so weit war. Sie war nur wenige Jahre älter als Debbie und hatte Angst, dass das zwischen ihnen zu Problemen führen würde. Trotzdem schmiedete sie bereits Zukunftspläne.
Heute Abend wollte Alex sie ins Sens einladen, ein schickes mediterranes Restaurant im Embarcadero Center. Obwohl sie den ganzen Vormittag mit Shopping verbracht hatte, hatte sie keine Ahnung, was sie anziehen sollte. Nur die Farbe stand bereits fest: Weiß. Die Frage war nur, ob sie das weiße Kleid mit nur einem Träger und dem langen Beinschlitz anziehen sollte oder das knielange Fähnchen mit dem aufreizenden Schlüsselloch-Ausschnitt. Unschlüssig betrachtete sie die beiden Outfits, die auf ihrem Bett ausgebreitet lagen.
Aber sie hatte ja noch jede Menge Zeit. Voller Vorfreude betrat sie die Dusche.
Mittwoch, 2. September 2009 – 18.35 Uhr
Alex saß immer noch in der Kanzlei und brachte Ordnung in die Dokumentation des Claymore-Prozesses, als das Telefon klingelte. Da Juanita schon nach Hause gegangen war, nahm er selbst den Hörer ab. »Alex Sedaka.«
»Hallo, Mr Sedaka«, meldete sich eine Frauenstimme.
Alex hatte eigentlich erwartet, dass es Claymore war, der sich noch einmal wegen Andi meldete. Er hatte vorgehabt, seinem Freund zu sagen, dass er sich keine Sorgen machen solle, Frauen seien emotional viel stärker, als die meisten Männer glaubten. Das hatte ihm Martine eindrucksvoll bewiesen, indem sie seine überschwängliche Anteilnahme nach der versuchten Vergewaltigung zurückgewiesen hatte. Aber die Frau am Telefon klang emotional tatsächlich ein wenig angeschlagen.
»Ja. Wer spricht denn da?«
»Gene. Gene Vance.«
»Oh, hallo, Gene. Was kann ich für Sie tun?«
»Ich mache mir Sorgen um Martine.«
»Um Martine ?« Er hatte damit gerechnet, dass sie sich genau wie Claymore um Andi sorgte. Laut Claymore war Andi aufgewühlt gewesen, als sie sich auf dem Parkplatz getrennt hatten, daher hätte es ihn nicht gewundert, wenn er von Gene dieselbe Leier zu hören bekommen hätte. Aber sie hatte eindeutig Martine gesagt …
»Warum? Gibt es ein Problem?«
»Ich glaube, dass sie in Gefahr ist.«
»In Gefahr? Wieso das?«
»Haben Sie es denn noch gar nicht gehört?«
»Was gehört?«
»Louis Manning ist aus dem Krankenhaus geflohen.«
»Oh mein Gott. Wie hat er das denn geschafft?«
»Er hat dem Polizisten, der ihn bewachen sollte, Schlaftabletten ins Getränk gemischt, um an den Schlüssel für die Handschellen zu kommen. Anschließend hat er ihm die Uniform gestohlen und ist abgehauen.«
Alex nahm diese Neuigkeit erschrocken zur Kenntnis, aber sein Sinn für Logik gewann schnell wieder die Oberhand: »Der ist doch bestimmt nicht so dumm, in der Nähe zu bleiben. Er weiß ja, dass er gesucht wird. Und die Polizei wiederum weiß, dass er eine Uniform trägt. Er wird also versuchen, sich irgendwo neue Kleidung zu besorgen, und dazu überfällt er sicher einen Mann und nicht ausgerechnet Martine.«
»Sie kennen ja noch gar nicht die ganze Geschichte. Es kam eben in den Nachrichten.«
» Was kam in den Nachrichten?«
»Er hat eine Krankenschwester, die ihn aufhalten wollte, mit einer Elektroschockwaffe außer Gefecht gesetzt, und angeblich hat er noch etwas zu ihr gesagt, bevor er gegangen ist. Er müsse noch eine Rechnung begleichen oder so etwas in der Art.«
»Aber das könnte doch alles Mögliche bedeuten«, versuchte Alex die Sache herunterzuspielen.
»Nein, jetzt denken Sie doch mal eine Minute darüber nach. Auf wen sollte er es sonst abgesehen haben? An die Cops, die ihn verhaftet haben, würde er sich nicht heranwagen, und er hat auch keinen Grund, Bethel Newton anzugreifen, denn die hat ihn ja nie beschuldigt. Detective Riley oder Sarah Jensen hat er bestimmt auch nicht im Visier, weil sie zu gut bewacht werden. Wer bleibt also noch übrig?«
Da fielen Alex gleich mehrere Personen ein. Zum Beispiel Andi, weil sie durch ihren angeblichen illegalen Zugriff auf die DNA-Datenbank überhaupt erst bewirkt hatte, dass auch die mitochondrische DNA getestet wurde, die Claymore als Täter ausschloss.
Nein , dachte er dann, das ergibt keinen Sinn. Was Gene gesagt hatte, ergab einen Sinn. Wenn Manning tatsächlich dumm genug war, in der Gegend zu bleiben und Rache zu üben, dann war Martine das einzige logische Ziel. Sie hatte erfolgreich seinen Vergewaltigungsversuch abgewehrt
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