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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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die Emotionen über sie hinweg: erst Verwirrung, dann Angst und schließlich Wut. War die erste Welle noch ein leichtes Kräuseln gewesen, hatte sich die zweite schon zu einem richtigen Brecher aufgetürmt, und die dritte glich einem Tsunami.
    Wer zum Teufel war Lannosea?

Montag, 15. Juni 2009 – 10.25 Uhr
    »Was macht sie hier?«
    Elias Claymores Reaktion wirkte fast panisch, als Alex mit Andi im Schlepptau das Zimmer betrat, das ihnen im Untersuchungsgefängnis von Ventura für ihr Gespräch zur Verfügung gestellt worden war.
    »Darf ich dir meine zweite Anwältin vorstellen?«, fragte Alex. »Andi Phoenix.«
    Claymores Blick schoss kurz zu Alex hinüber, bevor er sich wieder auf Andi heftete. Das Misstrauen war ihm deutlich anzusehen.
    »Du hast nichts von einer zweiten Anwältin gesagt. Nehmen Sie es nicht persönlich, Mrs Phoenix.«
    »Nennen Sie mich doch bitte Andi«, sagte sie und versuchte ihn mit ihrem beruhigenden Tonfall dazu zu bringen, sich zu entspannen.
    Als sie ihm freundlich die Hand entgegenstreckte, zögerte Claymore, bevor er sie schüttelte. Ohne Andi aus den Augen zu lassen, setzte er sich wieder hin. Andi setzte sich ebenfalls, und Alex nahm als Letzter am Tisch Platz.
    »Als Erstes müssen wir über einen anderen Verhandlungsort sprechen«, verkündete er.
    »Warum?«
    »Vielleicht kann ich das erklären«, schaltete sich Andi ein. Sie warf Alex einen fragenden Blick zu, bevor sie auf sein Nicken fortfuhr: »Den neuesten Statistiken zufolge leben in Ventura County knapp 700 000 Weiße und 17 000 Afroamerikaner. Der Bezirk ist also zu 2,1 Prozent schwarz und zu 87,5 Prozent weiß.«
    »Das muss nicht unbedingt etwas Schlechtes sein. Bei meinen eigenen Leuten bin ich derzeit wahrscheinlich unbeliebter als bei jeder anderen Bevölkerungsgruppe.«
    »Das bezweifle ich«, erwiderte Andi. »Wir sprechen hier von stockkonservativen Weißen.«
    Claymore bemühte sich um einen heiteren Tonfall. »He, ist doch toll … ich bin auch konservativ!«
    »Ich weiß, Mr Claymore, und das hätte vielleicht auch funktioniert, wenn es sich um ein kleineres Vergehen gehandelt hätte. Aber die Anklage lautet auf Vergewaltigung, und es hat sich bereits ein Großteil ihrer ursprünglichen Anhängerschaft gegen Sie gewendet.«
    »Haben Sie etwa eine Meinungsumfrage durchgeführt?« Er grinste in einem verzweifelten Versuch, die Situation zu verharmlosen.
    Andi behielt ihren neutralen Gesichtsausdruck bei. »Wir spitzen in alle Richtungen die Ohren, und das sind die Schwingungen, die wir empfangen.«
    Claymore sah zu Alex hinüber, der fast unmerklich nickte und ganz zufrieden damit war, wie sich Andi ihre Sporen verdiente.
    »Jedenfalls wissen wir aus der Statistik, dass Geschworene in Ventura harte Urteile fällen«, fuhr Andi fort.
    »Was ist mit den Hispanos?«, fragte Claymore.
    »Die können beide Hautfarben haben und sind in der Statistik bereits berücksichtigt. Allerdings haben wir sie zusätzlich separat erfasst: Von 287 000 Hispanoamerikanern und Latinos gelten 272 000 als weiß. Außerdem gibt es hier an die 50 000 Asiaten, die Schwarzen aus der Unterschicht vermutlich eher feindselig gegenüberstehen, Sie als Fernsehfigur aber vielleicht bewundern, sowie 17 000 Bürger gemischter Herkunft, die Ihnen unter Umständen ein bisschen freundlicher gesinnt sind. Aber diese beiden Gruppen machen zusammen weniger als zehn Prozent der Bevölkerung aus.«
    Claymore wirkte niedergeschmettert. »Und was brauchen wir für Geschworene? Ich meine, wenn wir sie uns frei aussuchen könnten?«
    Andi wollte es ihm erklären, aber nun schaltete sich Alex doch in die Diskussion ein: »Ideal wäre eine Jury, die sich aus politisch eher linksgerichteten Weißen zusammensetzt.« Die Gründe hierfür erläuterte er lieber nicht, weil ihm klar war, dass das zynisch geklungen hätte.
    »Oder aus Hispanoamerikanern«, fügte Andi hinzu. »Weiße Hispanos sind eher nicht mit den Vorurteilen der konservativeren europäischstämmigen Weißen behaftet. Auch wenn wir bei ihnen nicht in gleicher Weise mit dem Begriff der Kollektivschuld arbeiten können.«
    »Also, was machen wir?«
    Alex und Andi wechselten vielsagende Blicke. Schließlich war es Andi, die das Wort ergriff: »Der Ausgang eines kontroversen Falls hat bisweilen einen Dominoeffekt auf den nächsten Fall. Beim O.J.-Simpson-Prozess hatten die Geschworenen beispielsweise noch den Freispruch der Polizisten im Kopf, die Rodney King brutal zusammengeschlagen hatten. So kann

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