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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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den ganzen Tag damit verbracht, mit Alex die Akte des Vergewaltigungsfalls durchzugehen, und war dann noch einige Stunden länger geblieben als er. Jetzt war sie völlig erschöpft.
    Alex und sie hatten sich das Gehirn zermartert, wie sie das Ergebnis der DNA-Probe anfechten konnten. Alle anderen Beweise ließen sich in Frage stellen, indem man berechtigte Zweifel säte.
    Aber die DNA war ein echtesProblem, das man nicht so einfach unter den Teppich kehren konnte. Noch vor einiger Zeit hätten sie die wissenschaftliche Methode an sich angreifen oder die Geschworenen mit Verschleierungstaktiken verunsichern können. Aber seit dem O.J.-Simpson-Fall ging das nicht mehr. Verteidigungsstrategien sind wie Zaubertricks – sie lassen sich kein zweites Mal in derselben Form wiederholen. Alex und Andi blieb nichts anderes übrig, als aufzuzeigen, dass das in diesem Fall verwendete DNA-Verfahren weniger zuverlässig war als andere Methoden.
    Zuerst allerdings mussten sie herausfinden, wie sie den Prozess in ein anderes Gericht verlegen konnten. Um dieses Thema würde es in zwei Wochen bei der Vorverhandlung gehen, deshalb musste sich Andi als Erstes darauf konzentrieren.
    Als Andi nach Hause kam, lag Gene in Unterwäsche auf dem Bett und starrte im schwach beleuchteten Schlafzimmer auf den Flachbildfernseher an der Wand. Andi schälte sich im begehbaren Kleiderschrank neben der Tür aus ihrer Straßenkleidung und schlurfte dann barfuß und nur mit Slip und BH bekleidet ins Schlafzimmer, wo sie Genes übliche herzliche Begrüßung erwartete. Aber ihre Freundin drehte sich nicht einmal zu ihr um. Andi war verletzt und verwirrt. So kühl war Gene sonst nie, nicht mal wenn sie schlechte Laune hatte.
    »Wo warst du?«, fragte Gene, ohne den Blick vom Fernseher zu lösen.
    Andi spürte, dass Gene einen schlechten Tag gehabt hatte. Sie setzte sich hinter ihrer Freundin aufs Bett und massierte sanft deren hochgezogene Schulter.
    »Im Büro. Ich musste mich durch einen ganzen Stapel Papierkram arbeiten, weil mir ein wichtiger Fall übertragen wurde.«
    »Ich weiß. Heute kam nämlich so ein Laufbursche vom Gericht ins Zentrum, um mir eine richterliche Anordnung vorzulegen.«
    Andi hörte auf zu massieren, ließ ihre Hände aber auf Genes Schulter liegen. Jetzt wusste sie, woher deren schlechte Laune kam. »Bist du sauer?«
    Gene schüttelte Andis Hände ab und drehte sich zu ihr um. In ihren Augen standen Tränen der Wut, was Andi überraschte. Gene weinte sonst nie.
    »Was glaubst du denn? Ich habe meinen Job in New York aufgegeben und mit dir den ganzen Kontinent überquert, weil du es an der Ostküste nicht geschafft hast. Und jetzt fällst du mir in den Rücken und lässt mich von diesem Fall abziehen, so dass ich dem Opfer nicht mehr helfen kann. Und wozu das alles? Um einen Vergewaltiger zu vertreten!«
    Andi verstand Genes Wut nur allzu gut. Sie selbst war genauso wütend auf Alex gewesen, als er sie zur Übernahme des Mandats überredet hatte. Aber jetzt, wo sie sich als Verteidigerin verpflichtet hatte, konnte sie nicht mehr zurück. Sie fand keinen anderen Ausweg, als ihrerseits zum Angriff überzugehen. »Das ist nun mal mein Job«, blaffte sie und rollte sich vom Bett. »Außerdem ist er ein mutmaßlicher Vergewaltiger!«
    Mit diesen Worten stürmte sie aus dem Zimmer.
    Tränen strömten ihr über die Wangen, während sie die Treppe hinunterlief und sich in die Nische im Wohnzimmer flüchtete, die sie zum Arbeitsplatz umfunktioniert hatten. Auf dem Schreibtisch standen ein Laptop, eine Dockingstation und ein großer Monitor. Andi schaltete den Laptop ein und loggte sich in ihren E-Mail-Account ein. Sie hatte fünf neue Nachrichten. Vier stammten von alten Freunden, die ihr Glück für ihren neuen Job wünschten. Aber die fünfte E-Mail ließ sie zusammenzucken:
    Dieser elende Frauenschänder Elias Claymore ist deine Hilfe nicht wert und verdient es, seiner gerechten Strafe zugeführt zu werden. Sorge dafür, dass du nicht in der Nähe bist, wenn ihm endlich Gerechtigkeit widerfährt, sonst hast du dir die Konsequenzen selbst zuzuschreiben.
    Lannosea
    In Andis Kopf schrillte eine Alarmglocke. Wer hatte ihr diese E-Mail geschickt? Und von wo aus? Sie scrollte zum Absender hoch und sah, dass die E-Mail von einer Webmail-Adresse stammte. Sie konnte also von einer öffentlichen Bibliothek oder einem Internetcafé verschickt worden sein und ließ sich unmöglich zu einer bestimmten Person zurückverfolgen.
    Wie Wellen schwappten

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