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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld
Autoren: David Kessler
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lagen, und warf sie auf den Tisch.
    »Was haben Sie vor?«, fragte Andi verwirrt.
    »Warten Sie’s ab und hören Sie einfach zu«, sagte er und schlug eine Zeitung auf. »›Elias Claymore ist einer dieser Menschen, die glauben, die Leute müssten ihnen in allem recht geben, egal was sie sagen oder tun. Als er weiße Frauen vergewaltigte und dies als revolutionären, politischen Akt bezeichnete, sollten wir in ihm keinen Verbrecher sehen, sondern einen Freiheitskämpfer. Als er nach Libyen floh und den Islam zu predigen begann, sollten wir ihn für einen Religionsgelehrten halten. Dann gelangte er plötzlich zur wahren Erkenntnis und entdeckte Jesus – und den Kapitalismus –, woraufhin wir ihn mit offenen Armen wieder bei uns aufnehmen sollten. Und wir taten es, dumm wie wir waren. Jetzt wird ihm erneut Vergewaltigung vorgeworfen, und wir sollen glauben – und hier schließt sich der Kreis –, dass er ein unschuldiger Mann ist, der für seine freimütigen politischen Stellungnahmen der jüngeren Vergangenheit bestraft wird.‹«
    »Na und? Natürlich bekommt Claymore auch feindselige Presse.«
    Alex war noch lange nicht fertig. »Der Artikel entspricht genau dem Tenor aller anderen aus der Mainstream-Presse. Glauben Sie mir, ich habe sie alle gelesen.«
    Er wies auf einen Stapel Zeitungen auf dem Kirschholzwagen neben dem Tisch. »Und jetzt gucken wir mal, was die radikale schwarze Presse dazu sagt.« Er griff nach einer Zeitung, die bereits auf der richtigen Seite geöffnet war. »›Es ist Zeit, sich an einem Judas zu rächen, der sein Volk für dreißig Silberlinge verraten hat. Elias Claymore, der einst für die Rechte seiner geschundenen Brüder eintrat, wird jetzt als Heuchler entlarvt, dem die eigene Zügellosigkeit über alles geht. Ihm, dem dauernden Wahlkämpfer in eigener Sache, der sich immer wieder neu erfindet, wenn es ihm in den Kram passt, sind die Ideen ausgegangen, und so ist er wieder ganz der alte Narzisst und Egomane. Nachdem er seinesgleichen den Rücken gekehrt und seine Seele an den Teufel verkauft hat, verschlimmert er seine Schande nun noch, indem er auch seine Brüder in Misskredit bringt. Als Claymore noch eine respektierte Persönlichkeit des bürgerlichen Establishments war, wurde er von Konservativen gern als Ausnahme von der Regel hingestellt, als schwarzer Mann, der innerhalb des Systems arbeitet und Erfolg hat. Wir anderen hingegen hatten uns unsere Misere selbst zuzuschreiben, weil wir faul waren und uns weigerten, nach ihren Regeln zu spielen und uns ihr System zunutze zu machen. Jetzt, wo Claymore als das entlarvt wurde, was er wirklich ist, wird man ihn als typischen Afroamerikaner hinstellen und das alte Stereotyp vom schwarzen Mann als triebgesteuertem Monster bemühen.‹ Damit haben wir es zu tun!«, schloss Alex.
    »Und Sie glauben …« Andi hielt inne. Es fiel ihr nicht leicht, Appelle an ihren Kampfgeist zu ignorieren. Mit dem Kommandoton kam man bei ihr nicht weit, aber Alex leistete Überzeugungsarbeit auf die sanfte Tour.
    »Also, was sagen Sie?«, fragte er.
    »Ich sage …« Erneut zögerte sie und fragte sich, ob ihr der innere Kampf anzusehen war.
    Alex und Sherman warteten gespannt auf ihre Antwort. Andi ignorierte Sherman und fixierte Alex ein paar Sekunden lang, bevor sie schwer atmend nickte, weil sie ihrer Stimme nicht traute. Ihre Zustimmung war ein widerwilliger Waffenstillstand, keine Kapitulation. Alex lächelte sanft, um ihr zu zeigen, dass er ihre Haltung akzeptierte.
    »Gut«, verkündete Sherman. »Dann lasse ich Sie jetzt in Ruhe, damit Sie mit der Arbeit beginnen können.«
    Mit diesem Satz packte er seine Papiere in den Aktenkoffer und verließ den Raum.

Freitag, 12. Juni 2009 – 18.10 Uhr
    »Der Fall nahm heute eine dramatische Wendung, als bekannt wurde, dass Andromeda Phoenix – Prozessanwältin für Zivilrecht bei der in Los Angeles ansässigen Kanzlei Levine und Webster – als zweite Anwältin neben Alex Sedaka vor Gericht auftreten wird.«
    Martine Yins Stimme schallte aus den Lautsprechern eines Computers, auf dem ihre Nachrichtensendung in einem Browserfenster geöffnet war.
    »Mrs Phoenix hat eine Beziehung mit Eugenia Vance, einer psychologischen Beraterin im Krisenzentrum für Vergewaltigungsopfer. Um Elias Claymores Recht auf freie Wahl seines Rechtsbeistands nicht zu gefährden, hat der zuständige Richter inzwischen eine Unterlassungsaufforderung ausgestellt, die Mrs Vance jeden Kontakt mit dem mutmaßlichen Opfer
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