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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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es die siebzehn Marker vermuten lassen, oder etwa nicht?«
    »Ja, aber Sie dürfen nicht vergessen, dass die Marker ohnehin nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können, also hängt das Ergebnis auch nicht im eigentlichen Sinne von ihrer Anzahl ab.«
    Alex musste sich ein Lächeln verkneifen, weil ihm Alvarez in die Falle getappt war. Die Tatsache, auf die er hinauswollte, wäre ohnehin irgendwann zutage getreten, wirkte auf diese Weise jedoch umso stärker als Pluspunkt der Verteidigung.
    »Was meinen Sie damit, dass die Marker nicht unabhängig voneinander betrachtet werden können?«
    »Damit meine ich, dass die Y-STR-Marker anders als bei der regulären DNA nicht unabhängig voneinander sind, das heißt, sie werden nicht nach dem Zufallsprinzip vom einen oder vom anderen Elternteil vererbt. Stattdessen stammt die DNA des Y-Chromosoms vollständig vom Vater ab, weshalb die Wahrscheinlichkeit einer Zufallsübereinstimmung hier höher ist als bei der regulären DNA. Und das ist auch der Grund, warum wir die Wahrscheinlichkeiten der einzelnen Sequenzen nicht einfach zusammenrechnen können. Stattdessen verwenden wir ein Rechenmodell, das berücksichtigt, wie oft das fragliche Profil in einer Referenzdatenbank vorkommt.«
    »Wenn die DNA von Y-Chromosomen also vollständig vom Vater an alle seine Söhne weitergegeben wird, die sie wiederum an ihre Söhne vererben, kommt derselbe Haplotyp in der Gesamtbevölkerung zwangsläufig recht häufig vor, nicht wahr?«
    »Ja«, antwortete Alvarez, dem das Unbehagen anzusehen war.
    »Und ist es nicht auch eine Tatsache, dass Y-STR-Haplotypen in manchen Bevölkerungsgruppen häufiger vorkommen als in anderen?«
    »Ja.«
    »Mit anderen Worten: Die Wahrscheinlichkeit, dass dieser spezielle Haplotyp in der Gesamtbevölkerung auftritt, beträgt zwar eins zu viertausend, in der afroamerikanischen Bevölkerung liegt die Wahrscheinlichkeit aber deutlich höher.«
    »Ja.«
    »Wie hoch ist die Wahrscheinlichkeit dort?«
    »Ungefähr 0,2 von einem Prozent.« Alvarez formulierte es auf diese Weise, damit es immer noch selten klang.
    Alex hingegen hatte eine andere Formulierung im Sinn: »Sie sagen also, dass einer von fünfhundert afroamerikanischen Männern dasselbe haplotypische Profil aufweist?«
    »Wenn Sie es gerne so ausdrücken möchten«, bemühte sich Alvarez, Alex’ Argument zu entschärfen.
    Aber der ließ nicht locker: »Dann versuche ich es anders. Auf wie viele afroamerikanische Männer in den Vereinigten Staaten trifft dieses Profil Ihrer Einschätzung nach zu?«
    Alvarez machte einen nervösen Eindruck und schien darüber nachzugrübeln, wie er seine Antwort am besten formulierte. »Auf ungefähr 37 000.«
    Die Zuschauer schnappten hörbar nach Luft. Den Geschworenen war hingegen zugutezuhalten, dass sie ruhig blieben, auch wenn sich einige gespannt nach vorn beugten. Alex wusste, dass er sie in der Tasche hatte.
    »Ich möchte ganz sichergehen, dass ich diesen Umstand richtig verstanden habe«, fuhr er fort. »Sie erzählen diesen Geschworenen also, dass die in den Nagelproben gefundene DNA aus rein wissenschaftlicher Sicht von jedem dieser 37 000 Afroamerikaner stammen könnte?«
    Alex hatte seine Frage clever formuliert. Natürlich hätte ihn Alvarez korrigieren und darauf hinweisen können, dass die Frage eigentlich lauten müsste, wie wahrscheinlich die Unschuld eines Mannes war, den das Opfer bereits identifiziert hatte, der wegen Vergewaltigung weißer Frauen vorbestraft war und auf dessen angeblich gestohlenes Auto die Beschreibung des Täterwagens zutraf. Aber das war nicht Alvarez’ Aufgabe, sondern die der Anklagevertretung, die in ihrem Schlussplädoyer darauf zurückkommen würde. Alvarez war nicht hier, um Argumente vorzubringen, sondern um Fragen zu beantworten. Und die konnte er nur innerhalb seines eigenen Fachbereichs beantworten, nämlich der Genetik.
    Alex hatte ihn allein nach der wissenschaftlichen Sicht gefragt, und die musste ihm Alvarez liefern. Er konnte sie zwar ein wenig ausschmücken oder betonen, dass es sich nur um einen kleinen Teil der erdrückenden Beweislast handelte, aber je mehr Ausflüchte er machte, desto schwächer und unbedeutender wirkte seine gesamte Aussage. Außerdem war es seine Pflicht, wahrheitsgemäß und unparteiisch zu antworten.
    »Ja«, sagte er schließlich und schluckte unbehaglich.

Donnerstag, 20. August 2009 – 12.50 Uhr
    »Mir geht’s gut, mir geht’s gut«, erklärte Martine, während ihr Alex mit

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