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Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
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verriet. Sie hatte sich die Übernahme des Falls selbst schöngeredet und war wie einer dieser Menschen geworden, die sie eigentlich verachtete – eine Söldnerin ohne Gewissen.
    Überwältigt von dieser schmerzlichen Erkenntnis brach sie in Tränen aus, vergrub das Gesicht in den Armen und wurde von heftigen Schluchzern geschüttelt.

Samstag, 22. August 2009 – 09.00 Uhr
    Es war Samstagmorgen, und David Sedaka saß in seiner Wohnung auf dem Campus von Berkeley und untersuchte das dekompilierte Computerprogramm. Der Quellcode lag ihm allerdings immer noch nicht vor – LegalSoft hatte bis Dienstag Zeit, ihn herauszugeben, und würde vermutlich ohnehin in Berufung gehen. Also konnte er in der Zwischenzeit nur mit dem dekompilierten Programm arbeiten und musste ohne jede Anleitung mit den hoffnungslos komplizierten Bezeichnungen für Variablen und Datenfelder zurechtkommen.
    Andererseits konnte er dem Programm jetzt, wo seine Arbeitswoche vorbei war und er entspannt zu Hause saß, seine ungeteilte Aufmerksamkeit widmen. Das Problem bei den meisten modernen Programmen besteht darin, dass sie keinen richtigen Anfang haben und auch keine Mitte und kein Ende. Sie springen mal hierhin und mal dorthin und zweigen in alle möglichen Richtungen ab. Aber es gibt ein so genanntes »Hauptobjekt« als Kontrollzentrum all dieser Verzweigungen. Wenn er das Programm nach Fehlern durchsuchen wollte, war es daher sinnvoll, sich zuerst das Hauptobjekt anzusehen und von dort aus zu verfolgen, wohin die Abzweigungen führten.
    Auf eben dieses Hauptobjekt starrte David jetzt und versuchte herauszufinden, wie es die anderen Abschnitte des Programms zusammenhielt. Um sich ein klareres Bild zu machen, zeichnete er ein Flussdiagramm, auf dem er die Verbindungen und Verzweigungen der einzelnen Abschnitte eintrug. Im Prinzip ging er den umgekehrten Weg wie der Programmierer der Software.
    Plötzlich fiel ihm eine Abweichung auf. Er verfolgte sie zurück, indem er sich ansah, wie das Programm mit Duplikaten umging – also Namen, die sowohl auf der Wählerliste als auch auf der Namensliste von der Kraftfahrzeugbehörde auftauchten.
    Und da fiel es ihm wie Schuppen von den Augen.

Samstag, 22. August 2009 – 09.20 Uhr
    »Lass es einfach klingeln«, bat Martine, als Alex zum Telefon greifen wollte.
    Alex hatte am Freitagabend für sie gekocht, und sie war so begeistert von seinem Essen gewesen, dass sie über Nacht geblieben war. Es hatte Gefilte Fisch , Hühnersuppe mit Kneidelech und ein Hühnchenschnitzel mit Kartoffelkugel gegeben. Das Kochen hatte Alex von seiner Mutter gelernt, aber Melody verdankte er die Erkenntnis, dass der Weg zum Herzen einer Frau manchmal durch ihren Magen führt. Er hoffte, dass der Geist seiner verstorbenen Frau auf ihn herabgelächelt hatte, als er dieses Wissen am Vorabend dazu genutzt hatte, die schmerzhafte Vergangenheit hinter sich zu lassen und erste vorsichtige Schritte in Richtung Zukunft zu gehen.
    »Vielleicht ist es aber wichtig.«
    »Ist heute nicht Sabbat?«, fragte sie mit mädchenhaftem Grinsen, aber er streckte bereits die Hand nach dem Telefon aus.
    »Sei nicht so frech«, sagte er und gab ihr einen spielerischen, aber kräftigen Klaps auf den Po, bevor er den Hörer abnahm.
    »Hallo?« Seine Stimme wurde von Martines Aufschrei übertönt, bei dem nicht ganz klar war, ob er Schmerz oder Entzücken ausdrückte.
    »Was war denn das?«, fragte David.
    »Oh, äh, hallo, David. Nichts, ich hab nur den Fernseher laufen.«
    »Sieht dir gar nicht ähnlich. Für dich gibt’s doch sonst immer nur deine Arbeit.«
    »Tja, der Prozess fordert eben langsam seinen Tribut. Übrigens sieht es dir ganz und gar nicht ähnlich, so früh an einem Samstag anzurufen.«
    »Ich weiß, aber ich habe mir die Software angesehen und bin zu einem Ergebnis gekommen.«
    Alex setzte sich kerzengerade hin und brachte Martine mit einer Handbewegung zum Schweigen. Davids Stimme klang so ruhig und beherrscht, dass kein anderer außer ihm die Aufregung herausgehört hätte. Aber Alex Sedaka kannte seinen Sohn seit sechsundzwanzig Jahren und wusste genau, wann er aufgeregt war und wann nicht.
    »Schieß los, was hast du gefunden?«
    »Die Lösung. Die Erklärung für die Abweichungen. Ich habe herausgefunden, wie die Software manipuliert wurde, beziehungsweise, was diese Veränderung bewirkt.«
    »Dann nichts wie raus damit!«
    Davids Stimme klang plötzlich verlegen. »Ich habe keine Ahnung, ob ich dir das verständlich erklären

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