Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
Vom Netzwerk:
Kombination derart vieler verschiedener Indizien – Opferaussage, Augenzeugenbericht, medizinisches Gutachten, DNA, Vorstrafenregister des Angeklagten – würde weniger leicht zu entkräften sein. Zumindest war dies das Kalkül der Staatsanwaltschaft.
    »Dann bin ich in die Richtung gegangen, aus der die Schreie kamen«, erzählte der schon etwas betagte Mr Carter. »Zu nahe heran wollte ich allerdings auch nicht … weil ich Angst hatte.«
    »Und was passierte dann?«, fragte Sinclair.
    Carter zögerte und blickte sich nervös im Gerichtssaal um. »Na ja, ich habe mich hinter einem Baum versteckt, damit mich niemand sieht. Das wollte ich auf keinen Fall.«
    »Und dann?«
    Carter brauchte offensichtlich hin und wieder eine kleine Ermunterung, aber der Staatsanwalt wusste, dass er den Zeugen nicht lenken durfte. Bei der Befragung eigener Zeugen sind Suggestivfragen nicht erlaubt. Irgendwann würde Carter von ganz allein auf die wichtigen Dinge zu sprechen kommen, aber Sinclair machte sich zunehmend Sorgen, wie er sich im Kreuzverhör behaupten würde. Wie schlüssig würde seine Aussage noch klingen, wenn Alex ihn in die Mangel nahm und ihm seine berüchtigten vernichtenden Fragen stellte?
    Dabei musste Alex natürlich mit Bedacht vorgehen, um kein Mitleid mit Carter zu erzeugen. Aber er war erfahren genug, einen Zeugen auch mit ruhigen und höflichen Fragen außer Gefecht zu setzen. Und Carter war schon von Natur aus ein zaghafter Mensch.
    »Mr Carter?«
    »Und dann?«, wiederholte der Zeuge nervös. »Dann ist er an mir vorbeigerannt.«
    »Wer ist an Ihnen vorbeigerannt?«
    »Na ja … der Mann.« Der alte Mann wurde immer fahriger.
    »Könnten Sie uns bitte sagen, ob Sie den Mann hier im Gerichtssaal sehen?«
    Carter zeigte mit zitternder Hand auf Claymore. Wenigstens erregt er so das Mitleid der Geschworenen , dachte Nick Sinclair.
    »Es war der Mann dort drüben.«
    »Ich bitte zu Protokoll zu nehmen, dass der Zeuge auf den Angeklagten Elias Claymore gezeigt hat.«
    »Wird hiermit angeordnet«, sagte die Richterin.
    »Und aus welcher Richtung kam er gerannt?«
    »Na ja … aus der Richtung, wo die Frau geschrien hat.«
    »Und wo ist er hingerannt?«
    »Zu einem Auto. Er ist eingestiegen und davongefahren.«
    »Und was für ein Auto war das?«
    »So ein europäisches. Blau, glaube ich … Das Nummernschild konnte ich mir leider nicht notieren.«
    »Vielen Dank«, sagte Sinclair und lächelte erleichtert. »Keine weiteren Fragen.«
    Der Staatsanwalt setzte sich, und Carter wollte den Zeugenstand bereits verlassen.
    »Oh, einen Moment bitte, Mr Carter«, hielt ihn Richterin Wagner zurück. »Der Anwalt der Verteidigung möchte Ihnen auch noch ein paar Fragen stellen.«
    Carter kehrte in den Zeugenstand zurück und wirkte jetzt noch orientierungsloser.
    Nick Sinclair widerstand der Versuchung, diesen Umstand mit einem zufriedenen Lächeln zu quittieren. Wenn Carter unter Alex’ Druck zusammenbrach, war ihm, und damit auch Bethel, das Mitgefühl der Geschworenen sicher.
    Aber nach kurzer Beratung am Anwaltstisch war es Andi, die sich erhob, um das Kreuzverhör durchzuführen. Sie lächelte dem Zeugen aufmunternd zu, der natürlich wusste, dass sie zur Gegenpartei gehörte. Aber sie wirkte so harmlos, dass er das Lächeln nervös erwiderte.
    »Mr Carter«, begann Andi behutsam. »Sie sagen, Sie hätten sich hinter einem Baum versteckt, stimmt das?«
    »Ja.«
    »Haben Sie dabei auch Ihr Gesicht versteckt?«
    »Was meinen Sie damit?«
    »Na ja, wenn Sie den Kopf herausgestreckt hätten, wären Sie vielleicht gesehen worden – und genau das wollten Sie doch vermeiden, oder?«
    »Aber ich habe den Kopf nicht herausgestreckt. Er war auch hinter dem Baum.«
    »Wie konnten Sie dann den Mann sehen, der an Ihnen vorbeigerannt ist?«
    »Er ist direkt an dem Baum vorbeigekommen, und da habe ich ihn gesehen.«
    »Wollen Sie damit sagen, dass er sich im Vorbeirennen zu Ihnen umgedreht hat? So als wüsste er, dass Sie da sind?«
    »Nein. Er ist einfach wie ein geölter Blitz vorbeigerannt.«
    »Wie ein geölter Blitz?«
    »Ja.«
    »Er hat sich also nicht zu Ihnen umgedreht?«
    »Das sagte ich doch gerade«, blaffte Carter sie gereizt an.
    »Wie konnten Sie dann sein Gesicht sehen?«
    »Na ja, ich habe … ich meine, er … er hat mich zwar nicht angeschaut, aber ich konnte trotzdem ein Stück von seinem Gesicht sehen. Ich meine …«
    Carter starrte zu Nick Sinclair hinüber, aber der wich seinem Blick aus.
    »Dann lassen Sie

Weitere Kostenlose Bücher