Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Späte Schuld

Späte Schuld

Titel: Späte Schuld Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: David Kessler
Vom Netzwerk:
uns doch noch einmal wiederholen, was wir herausgefunden haben«, sagte Andi. »Sie haben die Schreie gehört, es mit der Angst zu tun bekommen und sich hinter einem Baum versteckt, und dann ist ein Mann in hohem Tempo an Ihnen vorbeigerannt, ohne sich zu Ihnen umzudrehen.«
    »Ich habe nicht gesagt, dass er besonders schnell gerannt ist.«
    »Sie sagten wie ein geölter Blitz.«
    »Habe ich das gesagt?«, fragte Carter verwirrt.
    Andi machte eine Pause, damit Carters Reaktion auf die Geschworenen wirken konnte, bevor sie verkündete: »Keine weiteren Fragen.« Sie setzte sich und senkte den Kopf.
    Nick Sinclair stand auf und sagte so würdevoll er konnte: »Ich habe ebenfalls keine weiteren Fragen, Euer Ehren.«
    »Dann ist der Zeuge hiermit entlassen«, ordnete die Richterin an.
    Während Carter von einem Gerichtsdiener behutsam nach draußen begleitet wurde, sah ihm Andi teilnahmsvoll nach. Nick Sinclair setzte sich wieder, und Sarah Jensen stand auf. Sie bedauerte, dass der Prozesstag so unspektakulär zu Ende ging. Ihr wäre es lieber gewesen, wenn Andi den Zeugen im Kreuzverhör drangsaliert hätte, statt ihn als den zerstreuten alten Mann hinzustellen, der er war. Aber Carters Zeugenaussage war nicht entscheidend, sondern nur als Sahnehäubchen gedacht. Auch Bethel mit ihrem früheren Vergewaltigungsvorwurf und ihrer Unsicherheit, was das Alter des Angreifers anging, hatte nicht auf ganzer Linie überzeugt. Zum Glück war ihre Aussage ebenfalls kein unverzichtbarer Faktor.
    In diesem Prozess ging es vorrangig um die wissenschaftlichen Beweise, wie immer, wenn die Aussagen von Augenzeugen oder Opfern nicht beweiskräftig genug sind. Und Sarah Jensens wissenschaftliche Beweise waren schlüssig und überzeugend. Dennoch bestand die Gefahr, dass den Geschworenen das Debakel mit Carter am deutlichsten in Erinnerung blieb. Deshalb musste sie ihnen in ihrem Schlussplädoyer noch einmal die beeindruckende wissenschaftliche Beweislage in Erinnerung rufen.
    Sie würde sich den O.J.-Simpson-Prozess zunutze machen, in dem die DNA-Beweise von einem ungebildeten Geschworenen als »heiße Luft« bezeichnet worden waren. Die Jury in diesem Prozess war hingegen gebildet genug, die Beweiskraft von DNA-Tests anzuerkennen. Aber vor dem Schlussplädoyer musste Sarah Jensen noch etwas anderes erledigen.
    »Euer Ehren, die Anklage beantragt eine Unterbrechung.«
    Richterin Wagner blickte zur Uhr an der gegenüberliegenden Wand und dann zu Alex Sedaka. »Ist die Verteidigung bereit, am Montagvormittag fortzufahren?«
    »Ja, Euer Ehren.«
    »Dann wird die Verhandlung bis Montagmorgen um zehn Uhr unterbrochen.«
    »Bitte erheben Sie sich!«, rief der Gerichtsdiener.
    Die Anwälte, Elias Claymore, die Geschworenen und die Zuschauer standen auf, während die Richterin mit der ihr eigenen Würde den Gerichtssaal verließ. Andi und Alex fingen an, ihre Unterlagen einzusammeln. Claymore stand neben ihnen und machte einen nervösen Eindruck. Er wollte wissen, wie seine Chancen standen, jetzt, wo die Anklage ihre Argumente auf den Tisch gelegt hatte.
    Während des gesamten Prozesses hatte Claymore schweigend dagesessen und sich noch nicht einmal zu Alex hinübergebeugt, wenn ihm eine Frage auf der Zunge brannte. Alex hatte ihn vor sämtlichen Verhaltensweisen gewarnt, die ihn ängstlich oder besorgt erscheinen ließen. Also hatten sie vereinbart, dass Claymore wichtige Mitteilungen auf einen Block schrieb, der vor ihm auf dem Tisch lag. Wenn Alex sah, dass er etwas schrieb, las er es, ohne den Kopf zur Seite zu drehen.
    Aber jetzt musste Claymore einfach wissen, wie die Dinge standen, bevor er wieder in seine Zelle geführt wurde.
    »Was denkst du?«, fragte er leise.
    »Wie meinst du das?«, erwiderte Alex, der die Frage sehr wohl verstanden hatte, aber nicht gerade scharf darauf war, sie zu beantworten.
    »Wie stehen meine Chancen?«
    Alex wich dem Blick seines Mandanten aus und schob die letzten Papiere in seine Aktentasche. Er glaubte immer noch, dass Claymore unschuldig war, aber es war seine Pflicht, offen und ehrlich zu ihm zu sein. »Ich will dir nichts vormachen, Elias«, sagte er. »Vor uns liegt noch ein harter Kampf.«

Freitag, 21. August 2009 – 22.15 Uhr
    »Mmm, das fühlt sich gut an«, sagte Andi, während Genes Hände über ihre Schultern und ihren Rücken strichen.
    Das Licht im Zimmer war gedämpft. Andi lag in Unterwäsche auf dem Bett und ließ sich von Gene eine kräftige und dennoch entspannende Massage verpassen. Als

Weitere Kostenlose Bücher