Späte Sühne - Island-Krimi
»Geplant war, dass die Ausgaben durch den Verkauf von Kunsthandwerk, Keramik, Kerzen und meinen Zeichnungen bestritten werden sollten. Jón beabsichtigte, seine Gedichte in Heften herauszugeben, und Sunna wollte Geld durch Singen und Gitarrespielen verdienen. Das brachte aber alles nicht viel ein, und deswegen kam Jón auf die Idee, die Heimproduktion zu erweitern und auf dem Dachboden Cannabis zu züchten. Der Dachboden war nicht sehr hoch, eignete sich aber für Gartenanbau dieser Art, nachdem wir die elektrische Beleuchtung installiert hatten. Auf ihrer Reise durch Europa hatten Jón und Helgi gelernt, diese Pflanzen zu züchten. Ich war als Gärtner mindestens ebenso geschickt wie als Zeichner. Das Geschäft florierte knapp ein Jahr, doch dann schöpfte die Obrigkeit Verdacht. Jón, Helgi und Rakel wurden auf einer Fahrt nach Reykjavík geschnappt, als sie die Ware unter die Leute bringen wollten, und kamen in Untersuchungshaft.«
»Was wurde aus dir?«, fragte Birkir.
Fabían hustete ein paar Mal. Seine Stimme klang gebrochen, als er fortfuhr: »An demselben Abend, an dem unsere Freunde festgenommen wurden, brannte das Haus nieder, und Sunna kam dabei ums Leben. Ich hatte mich gerade noch ins Freie retten können, irrte die ganze Nacht umher und wurde erst am nächsten Morgen gefunden. Ich hatte einen Nervenzusammenbruch erlitten und wurde in die psychiatrische Klinik eingeliefert.«
Wieder bekam Fabían einen schlimmen Hustenanfall und musste sich plötzlich übergeben. Er würgte ein paar Mal, und als er wieder aufblickte, sah Birkir, dass er Nasenbluten hatte.
»Entschuldige«, sagte Fabían, »mir geht es sehr schlecht.«
»Ich helfe dir ins Haus«, sagte Birkir und stützte Fabían. Sie gingen durch den Garten zurück zu der Treppe am Eingang, wo Fabían zusammenbrach. Birkir bückte sich, hob ihn hoch und richtete sich wieder auf. Er war überrascht, wie leicht die Bürde war.
»Kannst du ihn ins Haus tragen?«, fragte jemand am Eingang. Rakel war herausgekommen und hielt die Tür auf.
»Ja«, sagte Birkir und ging mit Fabían auf den Armen die Stufen hoch.
»Auch bis nach oben in sein Zimmer?«, fragte Rakel.
»Ja«, antwortete Birkir und stieg die Treppe hinauf. Er brachte den Kranken in sein Zimmer und legte ihn dort aufs Bett.
»Vielen Dank«, sagte Rakel. »Ich übernehme jetzt.«
»Darf ich noch etwas bleiben?«, fragte Birkir. »Bis es ihm wieder besser geht?«
»Mach dir keine Gedanken«, sagte Rakel. »Ich gebe ihm eine Spritze, dann schläft er ein. Komm einfach morgen wieder.«
22:30
Gunnar beschloss, den Tag mit einem Besuch in der Bar am Smiðjustígur zu beenden, in der er zu den Stammkunden zählte. Er hatte nichts Besseres zu tun. Zunächst aß er zu Hause bei seiner Mutter eine reichliche Portion Frikadellen mit brauner Zwiebelsauce, und anschließend isländischen Quark mit Sahne. Dann legte er sich noch eine halbe Stunde hin.
Nach dem Nickerchen bestellte sich Gunnar ein Taxi. Normalerweise ging er zu Fuß zur Kneipe, aber wegen des schmerzenden Rückens war er auf die Krücken angewiesen, mit deren Hilfe er sich zwar einigermaßen fortbewegen konnte, doch bis zum Smiðjustígur war es zu weit. Die Erkältung plagte ihn immer noch, aber er versprach sich Linderung von der Wirkung einiger Kräuterschnäpse.
Kaum hatte Gunnar die Kneipe betreten, gab er dem Kellner ein Zeichen und blickte sich nach einem freien Platz um. Am Tresen zu sitzen oder zu stehen, war für ihn ein Ding der Unmöglichkeit. Einen freien Tisch gab es nicht, aber er sah einen freien Stuhl an einem Tisch für zwei, und dort war auch ein Gesicht, das er kannte. Es gehörte einem schlanken Mann mit spitzer Nase und graumeliertem, leicht gewelltem langen Haar, das in der Mitte gescheitelt war. Der kurz getrimmte Kinnbart war gepflegt. Der Mann schrieb etwas auf ein Blatt, und als Gunnar sich zu ihm setzte, sah er durch dicke Brillengläser hindurch zu ihm hoch.
»Emil Edilon, nett, dich zu sehen, Meister«, sagte Gunnar.
»Himmel hilf! Bist du der Wiedergänger des germanischen Bergriesen?«, sagte Emil und blickte auf die Krücken, die Gunnar an den Tisch lehnte. »Du willst wohl an Behindertengeld herankommen? Ich kenne einen Arzt, der einem gern so etwas attestiert.«
Gunnar überhörte das geflissentlich und fragte zurück: »Wie kommst du mit dem Schreiben vorwärts?«
Emil starrte tieftraurig auf das Blatt Papier vor ihm. »Ich denke zu viel. Man sollte nicht denken, man sollte einfach
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