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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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die Apfelscheiben reichen. »Hier sind Zweige, die wir eigens dafür zurechtstutzen«, sagte er, während er die Apfel- und die Brotscheiben eine nach der anderen an den Zweigen befestigte.
    »Das liegt dann bereit für die Vögel, wenn sie morgen früh von ihren Übernachtungsplätzen kommen«, sagte Fabían, während er vorsichtig die Leiter herunterstieg. »Rotdrosseln und Stare schlagen sich darum, und manchmal auch die eine oder andere Amsel.«
    Fabían hielt eine kleine Weile inne, als er unten angekommen war. »Ich muss das Gleichgewicht wiederfinden«, sagte er. »Ich bekomme Schwindelanfälle auf der Leiter.«
    »Und was wurde aus dir in den Westfjorden, nachdem Jón weggegangen war?«, fragte Birkir.
    »Ich wurde wieder krank und verbrachte den größten Teil des Winters im Krankenhaus«, antwortete Fabían, nachdem er sich wieder etwas erholt hatte. »Da gab es eine kleine Bibliothek mit interessanten Büchern, und ich versuchte nicht mehr geheim zu halten, dass ich lesen konnte. Es kam auch regelmäßig ein Lehrer ins Krankenhaus, der einem chronisch kranken Mädchen Unterricht gab. Weil er Interesse an mir zeigte, durfte ich am Unterricht teilnehmen. Ich lernte in kurzer Zeit sehr viel, und den Leuten wurde klar, dass ich wohl kaum geistig behindert war. Trotzdem schickten sie mich wieder in dieses Heim zurück, als es mir wieder besser ging, aber sie suchten auch nach einer anderen Lösung. Im Sommer darauf bereisten Jón und Sunna in einem alten Russenjeep die Westfjorde, und sie besuchten den alten Arbeitsplatz. Als sie erfuhren, wie schwierig es war, mich irgendwo unterzubringen, fragten sie mich, ob ich nicht für sie arbeiten wollte. Sie hatten vor, irgendwo im Süden aufs Land zu ziehen. Ich hatte Bedenken, weil ich dachte, dass das mit schwerer körperlicher Arbeit verbunden sein würde. Jón versicherte mir aber, dass das überhaupt nicht in Frage käme, und das Versprechen hat er gehalten. Solange ich bei ihnen lebte, habe ich nie irgendwelche anstrengenden Arbeiten verrichten müssen.«
    Fabían drehte sich um, ging zu den großen Pappeln im Garten und wies nach oben. In drei Metern Höhe befanden sich waagerechte Bretter, die sicher an den Ästen befestigt waren.
    »Du bist vielleicht so nett und verteilst dort das Futter für die Schneeammern«, sagte er. »Ich werde die Leiter abstützen.«
    Birkir stellte die Leiter auf und kletterte hoch.
    »Die Schneeammern sind in diesem Winter ungewöhnlich früh gekommen, gleich beim ersten Schneesturm.«
    Birkir streute den Inhalt der Schüssel auf die Bretter und kletterte wieder nach unten.
    »Das reicht für die Morgengäste«, sagte Fabían. »Úlfheiður gibt ihnen dann morgen Mittag wieder etwas. Im Hellen ist es auch einfacher.«
    »Erzähl mir von diesem Aufenthalt auf dem Land«, bat Birkir.
    Fabían hustete, bevor er antwortete. »Ich bin also mit Jón und Sunna auf einen Hof in die Fljótshlíð gezogen. Dort richteten sie zusammen mit einem anderen Paar eine kleine Kommune ein. Das waren Helgi Kárason und Rakel Árnadóttir. Helgi war mit Jón und mir in Berlin, wie du weißt, und Rakel hast du hier getroffen.«
    »Was für ein Hof war das da in Fljótshlíð?«
    »Jóns Vater hatte dort Ländereien und ein altes Haus geerbt, in Sandgil. Es lag ziemlich abgeschieden im Inneren der Fljótshlíð. Jón hat das Haus einfach besetzt. Als überzeugter Hippie und Anarchist hat er sich natürlich gegen seine Eltern aufgelehnt, die ziemlich wohlhabend waren. Der Vater von Jón tat so, als wüsste er nichts von dem, was sein Sohn da auf dem Hof trieb, deswegen kam es nicht zu Konflikten. Dort habe ich meine besten Tage verlebt, seit ich das Zuhause bei meiner Mutter verlor, und mir ist es nie so gut gegangen. Die Leute in der Kommune waren immer sehr nett zu mir, und das Leben dort hat Spaß gemacht. Es kamen noch andere Leute, die zeitweilig dort lebten, doch nur wir fünf hatten dort die ganze Zeit unseren festen Wohnsitz.«
    Fabían ging um die Ecke des Hauses und zeigte Birkir ein weiteres Brett, das in einer geschützten Ecke an der Westseite des Hauses angebracht war.
    »Dorthin kommen die Sonnenblumenkerne für die Birkenzeisige. Wärst du so nett?«
    Birkir stellte die Leiter ein weiteres Mal auf und kletterte hoch. Er verteilte das Futter sorgfältig und stieg dann wieder nach unten.
    »Wovon habt ihr gelebt?«, fragte er.
    »Es war nicht ganz einfach, über die Runden zu kommen, denn es gab ja kaum Einkünfte«, antwortete Fabían.

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