Späte Sühne - Island-Krimi
Künstlern zu assistieren, die es weiter gebracht haben als er. Geht ihnen bei Ausstellungen zur Hand und dergleichen. Ihm ist es zwar nie gelungen, ein Kunstwerk zu schaffen, das mehr als den Materialwert besitzt, aber er hat ein Händchen dafür, Bilder aufzuhängen.«
»Kann man von so etwas leben?«
»Ich denke schon. Er kümmert sich auch um die Verpackung und den Transport der Exponate. Bei großen Ausstellungen kann das schon einen Haufen Arbeit bedeuten. Er arbeitet im Übrigen nur für Leute, die zahlungskräftig sind. Zwischendurch macht er sich in den Ateliers nützlich und zieht Leinwand auf Keilrahmen und solchen Schnickschnack. Grundiert vielleicht sogar für Künstler, die riesige Bilder malen. Er hat genug zu tun.«
»Er steht im Strafregister«, flüsterte Gunnar.
»Ich weiß«, antwortete Emil.
»Was hat er gemacht?«
»Warst du zu faul, im Archiv nach den Gerichtsurteilen zu suchen?«, fragte Emil.
»Ich bin einfach noch nicht dazu gekommen«, antwortete Gunnar.
Der Barkeeper kam mit den Getränken und stellte sie auf den Tisch.
Emil wartete, bis er sich wieder entfernt hatte, und fuhr dann fort: »Der Mann, über den wir redeten, wie hieß der noch?«
»Lúðvík«, sagte Gunnar.
»Ja. Als junger Mensch in den Siebzigerjahren hatte Lúðvík ungewöhnliche Hobbys. Er trainierte Gewichtheben. Das war damals in der Hippiezeit alles andere als angesagt, trotzdem hat der junge Mann das neben dem Kunststudium sehr intensiv betrieben. Außerdem war er Exhibitionist und befriedigte diese Bedürfnisse, indem er splitternackt in der Kunstakademie Modell stand.«
»Wurde er etwa deswegen vor Gericht gestellt?«, fragte Gunnar.
»Nein, verurteilt wurde er wegen etwas anderem. In diesen Jahren war natürlich so einiges an Drogen im Handel, und obwohl Love and Peace ganz zuoberst auf der Rangliste standen, bestand doch ein gewisser Bedarf an rührigen und kompetenten Geldeintreibern, die zupacken konnten. Die Hippies waren zwar sehr dafür, sich Dope zu beschaffen, hatten es aber mit der Bezahlung meist nicht so eilig, und manchmal vergaßen sie solche Nebensächlichkeiten einfach. Wenn sich die Begleichung der Schulden allzu lange hinzog, wandte man sich an den Gewichtheber. Er konnte den Jungs derartige Angst einflößen, dass ihnen der Rausch auf der Stelle verflog, und sie sich sogar nach Arbeit umtaten, um das Minus auszugleichen. Oder sie haben ihre Väter um Geld angehauen, was vermutlich die verbreitetere Methode war.«
»Nimmt Lúðvík immer noch solche Aufträge an?«
»Nein, nein. Er hat vor vielen Jahren damit aufgehört, nachdem er einmal beinahe jemanden umgebracht hat.«
»Weißt du, ob er irgendeine Verbindung zum Sonnendichter hat?«
»Vermutlich hat er damals auch für den Sonnendichter Geld eingetrieben, genau wie für die anderen, die hinter den Kulissen arbeiteten.«
Samstag, 17. Oktober
07:00
Birkir wachte auf, als der Wecker klingelte. Es war sein freier Tag, und wenn es nach ihm ging, sollte das auch so bleiben. Zumindest für den Anfang.
Er nahm sich ausgiebig Zeit für sein Frühstück. Ein Schluck Lebertran bildete den Anfang, und auf ihn folgten starker Tee und zwei Toastscheiben mit Käse und Gurken. Während er das zu sich nahm, las er die Zeitung, die er gleich nach dem Aufstehen aus dem Briefkasten geholt hatte.
Anschließend bereitete er sich auf sein Lauftraining vor, ein langes Training. Zunächst ging er auf den Balkon, um nach dem Wetter zu sehen. Der Wind hatte auf Ost gedreht und war aufgefrischt, aber es war trocken. Die Temperatur lag bei knapp über null, und nun wusste er, wie er sich anzuziehen hatte. Doch bevor er loslaufen konnte, gab es noch einiges zu tun.
Birkir cremte sämtliche der Reibung ausgesetzten Stellen an seinem Körper mit einer dicken Schicht Vaseline ein, Brustwarzen, den vorstehenden Bauchnabel, Hals und Hüften. An diesen Stellen hatte er sich bei Langstreckenläufen schon blutig gescheuert, und er war sehr darauf bedacht, dass so etwas nicht wieder vorkam. Anschließend schlüpfte er in enge Laufhosen, dicke Kompressionssocken, einen dünnen Pullover und eine leichte Windjacke. Über die Jacke zog er noch eine knallgelbe Weste mit breiten phosphoreszierenden Streifen, und zum Schluss schnürte er die Asics-Laufschuhe zu.
Er füllte ein selbstgemixtes Energiegetränk in zwei kleine Plastikflaschen, und in zwei weitere kam kaltes Wasser aus der Leitung. Die Flaschen brachte er in seinem Gürtel an. Zum Schluss stopfte er
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