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Späte Sühne - Island-Krimi

Späte Sühne - Island-Krimi

Titel: Späte Sühne - Island-Krimi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Bastei Lübbe
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Fenster und starrte hinaus, ohne etwas zu sehen oder zu hören. Ich musste sogar gefüttert werden, denn ich war noch nicht einmal imstande, mir das Essen, das mir vorgesetzt wurde, selber zum Munde zu führen. Zudem hatte ich Probleme mit der Körperhygiene. Nach einigen Monaten fiel das Urteil: Ich war chronisch geisteskrank und bekam einen festen Platz in der ruhigen Abteilung. Dort blieb ich viele Jahre.«
    Fabían verstummte und beobachtete ein paar Stare, die sich um die Apfelscheiben stritten, die er am Abend vorher in der Eberesche befestigt hatte.
    »Es ist seltsam, aber ich habe mein ganzes Leben lang Vögel beobachtet«, sagte er. »In den Westfjorden, als ich klein war, hat mir meine Mutter beigebracht, wie die Vögel hießen, und von anderen Vogelfreunden habe ich gelernt, auch seltene Irrgäste zu kennen. Ich habe hier im Garten schon Seidenschwänze beobachtet. Vögel haben mir immer Freude bereitet, auch wenn es mir schlecht ging.«
    »Was wurde aus den anderen Leuten, die in Sandgil lebten?«, fragte Birkir.
    »Sie kamen wegen Herstellung und Vertrieb von Cannabis vor Gericht und wurden verurteilt, aber ich glaube, sie haben nicht einsitzen müssen. Genau wie ich hat keiner von ihnen jemals den Tod von Sunna verwinden können, und unweigerlich trennten sich die Wege. Sie hatten zu der Zeit ganz andere Sorgen und wenig Zeit, um an mich zu denken, aber sie kamen mich hin und wieder besuchen, mehr konnten sie nicht für mich tun. Ich war Zeuge von Sunnas tragischem Tod, und mein armer Verstand wurde damit einfach nicht fertig. Das Leben war zu Ende.«
    »Aber seitdem hast du doch große Fortschritte gemacht«, warf Birkir ein.
    »Ja, aber das war erst viel später«, sagte Fabían. »Nachdem ich zwölf Jahre mehr oder weniger nur dahinvegetiert hatte, nahm eine junge Frau ihre Tätigkeit an der Anstalt auf, die erst kurz zuvor ihr Studium in klinischer Psychologie an einer Universität im Ausland absolviert hatte. Sie hatte fachliches Interesse an meiner Erkrankung und entschied sich dafür, es mit Hypnose und einer Gesprächstherapie zu versuchen. Die verlief allerdings in den ersten Monaten sehr einseitig. Nach und nach gelang es ihr aber, mich ins Leben zurückzurufen, und ich begann auch wieder zu zeichnen. Nach zwei Jahren funktionierte ich dann wieder so einigermaßen. Der Sonnendichter hat mich ein oder zweimal im Jahr besucht und sich über mein Befinden informiert. Einmal waren wir sogar für zwei Wochen Zimmergenossen, denn im Suff kann er manische Anfälle bekommen. Es war nicht langweilig auf der Station, solange er sich dort aufhielt.«
    Fabían nahm den letzten Zug aus dem Joint und drückte ihn aus, bevor er mit seiner Erzählung fortfuhr: »Und dann stellte ich eines Tages fest, dass ich Blut im Stuhl hatte. Ich war aber immer noch so lethargisch, dass ich niemandem davon erzählte. Es wurde immer schlimmer, und schließlich kam es zu Blutungen aus dem Darm. Irgendjemand bemerkte einen Blutfleck an meiner Hose, doch zunächst ging man davon aus, dass es sich um Hämorrhoiden handelte. Als es sich nicht besserte, wurde ich untersucht. Das Ergebnis kam schnell, ein bösartiges Karzinom im Darm. Bei der Operation wurden Teile des Darms entfernt, dann Strahlen- und Chemotherapie, das übliche Prozedere. Ich bekam einen künstlichen Darmausgang, und ich erholte mich so langsam. Erstaunlicherweise besserte sich mit dem Aufenthalt auf der Krebsstation auch mein geistiger Zustand, dort war ich unter geistig gesunden Menschen, die mich wie ihresgleichen behandelten. Deswegen wollte ich auch nicht wieder in die Anstalt zurück, aber ich hatte im Grunde genommen keine andere Wahl. Und da kam mir der Sonnendichter ein weiteres Mal zu Hilfe. Nach dem Brand war er in die Kellerwohnung seines Elternhauses gezogen. Nachdem seine Eltern verstorben waren, erbte Jón dieses große Haus und vermietete Zimmer. Er bot mir an, bei ihm einzuziehen, und sagte mir, dass sich das mit der Miete schon regeln würde.«
    Fabían stand auf und ging zu einem kleinen Rasenstück im Garten. Birkir folgte ihm.
    »Jón hat sich seine Mieter gut ausgewählt«, sagte Fabían und betrachte sein Zuhause mit dankbarem Blick. »Alle Bewohner, Frauen und Männer unterschiedlichen Alters, haben irgendwie eine künstlerische Ader, und jeder für sich ist ein Unikum. Dieses Haus ist im Grunde genommen eine lebendige Akademie. Hier durfte ich sein, seit ich aus der psychiatrischen Anstalt entlassen wurde, und in dieser Umgebung habe

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