Späte Sühne - Island-Krimi
mit Kunsthandwerk beschäftigten und ihre Erzeugnisse auf den Hippiemärkten verkauften, lernte ich, mit Ton zu arbeiten, und Jón traf im zweiten Sommer am Strand einen isländischen Gymnasiallehrer, der ihm innerhalb von drei Wochen die Regeln der Dichtkunst beibrachte. Als Gegenleistung dafür bekam der Mann gutes Gras. Daraufhin begann Jón nach allen spezifisch isländischen Regeln dieser Kunst zu dichten. Für moderne Lyrik hat er nie etwas übrig gehabt. Da im Süden sind schöne Gedichte entstanden, von denen einige heute schon als klassisch gelten. Irgendwann waren wir dann diese Herumtreiberei leid, und als wir genügend Geld für den Flug beisammen hatten, flogen wir zurück nach Island.
Die nächste Reise sollte nach Amerika gehen, dafür mussten wir aber erst mal die Kohle zusammenkratzen. Jón ging in die Westfjorde und arbeitete in einem Heim für geistig Behinderte. Die hat er bestimmt munter gemacht. Aber er hat da im Westen auch seine Sunna gefunden, und deswegen verzögerte sich die Reise nach Amerika. Sunna war kaum je in Reykjavík gewesen, und sie hatte auch nicht das geringste Interesse daran, mit zwei ausgeflippten Gestalten ohne Geld nach Amerika zu fahren. Sie liebte Jón, aber sie stand mit beiden Beinen auf der Erde.
1973 hatte Jón dann diese fantastische Idee, in die Fljótshlíð zu ziehen und das Haus in Sandgil zu besetzen, das seinem Vater gehörte. Es hatte schon zwei Jahre leer gestanden. Der alte Sváfnir hatte die Heuwiesen als Pferdeweiden verpachtet und wollte das Haus als Ferienhaus verwenden. Jón hat niemanden um Erlaubnis gebeten, sondern dem Alten einfach die Schlüssel geklaut, und wir nisteten uns dort ein. Dahinter steckte die Idee der Squatter-Bewegung, die 1968 in London entstand und sich mit der Hippiekultur über die ganze Welt verbreitete. Leute ohne festen Wohnsitz besetzten leer stehende und ungenutzte Häuser, um dort mit anderen Menschen friedlich und glücklich zusammenzuleben. Wie gesagt, diese Idee machte Furore, und viele von diesen Hippiekommunen, in denen wir uns während unserer Europatour zeitweise aufhielten, befanden sich in solchen besetzten Häusern.
Der alte Sváfnir tat so, als wüsste er nichts von dieser Hausbesetzung. Eigentlich glaube ich, dass er damals eine Heidenangst vor seinem Sohn hatte. Irgendwann bezahlte er aber die Stromrechnungen nicht mehr, und es endete damit, dass uns der Strom abgestellt wurde. Wir mussten also an Geld herankommen, denn ohne Strom ließ sich dort nicht leben. Nachdem Jón sich mit den Leuten von der Stromversorgung arrangiert hatte, funktionierte das Ganze zumindest am Anfang ganz gut, denn zunächst hatten wir alle noch etwas Geld. Auf die Dauer wurde es aber eng. Wir hielten ein paar Hühner und hatten einen kleinen Gemüsegarten. Auf den Wiesen waren die Pferde, wir konnten also kein Heu machen, sonst hätten wir Schafe halten können, auch wenn wir von so etwas keinen blassen Schimmer hatten. Wir beschäftigten uns alle mit künstlerischen Dingen. Ich hatte mir einen primitiven alten Brennofen organisiert, und der reichte für solche simplen, hippiemäßigen Objekte aus, mit denen ich mich damals beschäftigte, in dem Stil, wie ich es auf unserem Trip gelernt hatte. Für den Brennofen und die grobe Arbeit gab es Platz in einem Schuppen neben dem Wohnhaus. Das Wohnzimmer im Haus war aber unsere wichtigste Arbeitsstätte, dort arbeiteten wir nämlich zusammen. Jón schrieb Gedichte, Rakel einen Roman und Fabían zeichnete. Sunna komponierte, und sie stellte Kerzen her. Ich modellierte. Davon wollten wir leben.
Freitagsnachmittags fanden wir uns vor dem Genossenschaftsladen in Hvolsvöllur ein und versuchten, unsere Erzeugnisse an den Mann zu bringen. Sunna spielte Gitarre und sang ihre Lieder dazu, und wir anderen boten unsere Werke zum Verkauf an. Wir verkauften natürlich so gut wie nichts, aber immerhin warfen die Leute ein paar Münzen in Sunnas Gitarrenkasten, sie fanden sich wahrscheinlich großzügig. Die hatten ja keine Ahnung, was ihnen da geboten wurde. Zufälligerweise gibt es sogar eine Aufnahme von den Festveranstaltungen zum 17. Juni, die der staatliche Rundfunk gemacht hat. Da trägt Sunna drei ihrer Vertonungen von Jóns Gedichten vor. Die sind inzwischen zu richtigen Klassikern geworden, vor allem Wenn hellere Tage und Träume sich mehren. Die Qualität dieser Rundfunkaufnahme war alles andere als gut, trotzdem werden sie auch heute noch immer wieder mal gespielt und gelten als
Weitere Kostenlose Bücher