Späte Sühne - Island-Krimi
Falls dann aber auf einmal ein alter Kumpel auftaucht und ihn in die nächste Kneipe abschleppt, kann daraus unter Umständen ein Quartalsbesäufnis werden. Im Suff bekommt er allerdings manchmal seine manischen Anfälle, und wenn es so um ihn steht, muss er immer für ein paar Tage in die Psychiatrie. Rakel hat das aber, genau wie alles andere im Jónshús, bestens unter Kontrolle.«
Helgi stand auf. »Das war die Geschichte vom Sonnendichter und mir, und jetzt wäre ich dir dankbar, wenn du mich in Frieden meiner Arbeit nachgehen ließest.«
Zum Zeichen, dass das Gespräch beendet war, drehte Helgi die Musik wieder auf.
Birkir fuhr zurück in die Hverfisgata, um die Aufzeichnungen seiner Gespräche mit Fabían und Helgi auf dem Computer abzuspeichern. Anschließend rief er Gunnar an, um ihn über das zu informieren, was er tagsüber erreicht beziehungsweise nicht erreicht hatte.
»Ich bin mir nicht sicher, ob wir auf dem richtigen Weg sind«, sagte er zum Schluss.
»Was meinst du damit?«, fragte Gunnar.
»Der Mann in der U-Haft ist ganz bestimmt nicht der Richtige.«
»Natürlich nicht, aber es wird etwas in Bewegung setzen, da bin ich mir sicher.«
»Es ist kein korrektes Vorgehen«, beharrte Birkir.
»Hör zu«, erklärte Gunnar grantig. »Geh nach Haus und bügel deine Hose, oder mach, was du willst, um zu relaxen. Wir unterhalten uns morgen.«
21:20
Gunnar wusste genau, wie er selber den Tag zu Ende bringen wollte, nämlich in der Kneipe am Smiðjustígur. So verhielt es sich im Übrigen an den meisten Abenden, auch wenn er sich Mühe gab, hin und wieder Pausen einzulegen, in denen er nichts Alkoholisches zu sich nahm und dem Körper gestattete, sich zu erholen. Heute hatte er aber Grund genug, sich einen hinter die Binde zu kippen.
Das Erste, was Gunnar beim Hereinkommen sah, war Botschafter Konráð Björnsson, der allein an einem Tisch saß und den Spiegel las. Vor ihm stand ein Whisky on the rocks. Gunnar gab dem Barkeeper das Zeichen für die übliche Kombination und ließ sich, ohne um Erlaubnis zu bitten, auf einen Stuhl am Tisch des Botschafters fallen.
»Wir haben uns in Berlin getroffen«, sagte Gunnar und lehnte die Krücken an den Tisch.
Konráð brauchte einen Augenblick, um sich an ihn zu erinnern, doch dann begrüßte er Gunnar erfreut.
»Die Deutschen schreiben über den Mord in der Botschaft«, sagte er und deutete auf den Spiegel . »Und verdammt noch mal, bei denen stimmt einfach alles. Da steht genau drin, was passiert ist. Keine Spekulationen, nur Tatsachen. Das mag ich an der deutschen Art der Berichterstattung.«
Gunnar merkte, dass das Glas, das vor Konráð stand, nicht das erste an diesem Abend war. Er fragte: »Ist dir vielleicht in der Zwischenzeit etwas im Zusammenhang mit diesem Abend eingefallen, was du uns noch nicht gesagt hast?«
»Es handelt sich bestimmt um eine Verschwörung«, erklärte Konráð. »Eine verdammte Verschwörung, um mich in Schwierigkeiten zu bringen. Und das ist gelungen. Der Außenminister hat einige Posten im Ausland umbesetzt. Ich kriege einen Schreibtisch in Reykjavík und irgendwelche Negerländer in Afrika, um die ich mich aus dem Koffer heraus kümmern muss. Entschuldige die Ausdrucksweise.«
»Wird Botschaftsrat Arngrímur deine Stellung in Berlin übernehmen?«
»Arngrímur!« Konráð lachte laut. »Nein, Arngrímur Ingason wird niemals Botschafter werden.«
»Weshalb denn nicht? Ist er nicht ein sehr fähiger Diplomat?«
»Fähiger Diplomat? Doch, das ist er, der verdammte Kerl, aber Botschafter wird er nie.«
»Wieso nicht?«
»So ist es einfach. Das ist irgendeine ungeschriebene Regel im Außenministerium, und niemand weiß, wieso.«
»Was meinst du damit?«
Konráð lehnte sich zu Gunnar hinüber und flüsterte: »Jedes Mal, wenn ein neuer Außenminister ins Amt eingeführt wird, geht der Ministerialdirigent diverse außenpolitische Angelegenheiten mit ihm durch, und natürlich auch sehr viele praktische Einzelheiten. Ich weiß, dass Arngrímur Ingason da auf einer Liste steht, er wird niemals Botschafter der Republik Island werden, niemals! Weshalb steht da nicht. Im Gegenzug hat er allerdings gewisse Sonderrechte, er braucht keinen Heimatdienst zu machen und darf in jeder Stellung so lange bleiben, wie es ihm passt. Deswegen ist er auch nicht so häufig wie andere versetzt worden. Es ist natürlich außerordentlich angenehm für einen Botschafter, ihn zur Seite zu haben, denn er schont sich nicht bei der Arbeit.
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