Späte Sühne - Island-Krimi
es ist eine Notlösung. Dieser Abdruck ist das einzige stichhaltige Indiz. Sonst können wir ja gleich den ganzen Kram hinschmeißen.«
»Mir gefällt das nicht«, sagte Birkir.
»In Ordnung«, sagte Gunnar. »Ich nehm das auf meine Kappe. Wir lassen ihn in ein paar Tagen frei. Falls sich jemand beschwert, führe ich zu meiner Entschuldigung an, dass ich vor lauter Schnupfen und Rückenschmerzen nicht klar denken konnte. Was in gewisser Weise ja auch stimmt.« Gunnar blies Staub von der Schokolade und biss grinsend hinein.
Birkir verabschiedete sich und verließ das Kommissariat, um die Sachen, die Starkaður in Berlin getragen hatte, aus der Reinigung zu holen.
16:40
Birkir hatte auf der Webseite des Unternehmens Namen und Telefonnummer des Geschäftsführers der chemischen Reinigung gefunden und den Mann dazu bringen können, selber in den Laden zu kommen und ihm den frisch gereinigten Anzug von Starkaður Gíslason auszuhändigen. Birkir brachte die Sachen ins Labor des Erkennungsdienstes, wo Anna sie entgegennahm. Falls sich auch nur die geringsten Spuren von Blut an den Sachen befanden, würden sie ihr nicht entgehen. Wenn nötig, würde sie bis tief in die Nähte gehen, wo eine chemische Reinigung nicht hinkam.
»Das wird sich herausstellen«, sagte sie, als Birkir sie fragte, ob der Anzug nach der Analyse wieder genauso aussehen würde wie vorher.
»Es wäre besser«, sagte er.
»Jetzt hör mal zu«, sagte Anna. »Es geht hier um einen Mord. Da kann doch wohl ein Anzug kaum von Bedeutung sein.«
»Trotzdem«, sagte Birkir. Er wusste schöne und gut geschnittene Anzüge aus hochwertigem Stoff zu schätzen und konnte gut verstehen, dass Starkaður sich nur ungern von ihm trennen würde.
»Geh einfach raus an die frische Luft, wenn du da nicht zusehen möchtest«, sagte Anna lächelnd.
Birkir verließ das Haus, aber nicht, weil er nicht dabei sein wollte, wie Anna den Anzug von Starkaður malträtierte, sondern um den Künstler Helgi Kárason zu besuchen und etwas über seine Vergangenheit in der Kommune des Sonnendichters zu erfahren. Die Gäste in der Botschaft verband offensichtlich mehr, als es zunächst den Anschein gehabt hatte. Birkir war entschlossen, alles darüber in Erfahrung zu bringen. Er schaute zunächst in einer kleinen Galerie im Stadtzentrum vorbei, deren Besitzer er kannte, und nach ein paar Telefonaten hatte dieser die Adresse von Helgis Atelier in Reykjavík herausgefunden.
Es befand sich im zweiten Stock eines Hauses in der Nähe des Hafens, in dem früher Fischereinetze hergestellt worden waren. Der Saal war sehr groß, und das kam ihm gut zustatten, denn im Lauf der Jahre war Helgi in seiner künstlerischen Produktion von kleineren Objekten wie Kerzenleuchtern und Dekorationsgegenständen zu größeren Werken wie Skulpturen und Wandreliefs übergegangen. Unvollendete Werke nahmen den größten Teil des Arbeitsraums ein.
Birkir klopfte an die Tür, und als niemand darauf reagierte, versuchte er, sie zu öffnen. Sie war unverschlossen, und er betrat das Atelier. Aus riesigen Boxen erklang laute Musik, Janis Joplin. Birkir wusste, dass es sich um anerkannten, klassischen Rock aus den Siebzigerjahren handelte, aber er hörte so etwas nur selten. Wahrscheinlich zu selten, dachte er, während er wie gebannt der Musik lauschte: »Cry-y-y-y – baaaby.«
Helgi stand vor einem drei Meter hohen, aus verschiedenen Komponenten zusammengesetzten Wandrelief und war gerade dabei, ein weiteres kleines Element einzufügen. Die einzelnen Teile waren aus gebranntem Ton und von unterschiedlicher Farbe. An der richtigen Stelle in der Montage platziert, ergaben sich ausdrucksvolle Figuren.
»Guten Tag«, rief Birkir mit gezücktem Ausweis. »Ich bin von der Kriminalpolizei.«
»Du bist was?« Helgi sah zu ihm hinüber und hielt sich die Hand hinters Ohr.
»Von der Kriminalpolizei. Ich muss dir ein paar Fragen stellen.«
Helgi ging zu der Stereoanlage und regelte die Lautstärke so, dass die Musik gerade eben noch zu hören war.
»Na schön«, sagte er.
»Du hast hoffentlich nichts dagegen?«, fragte Birkir.
»Was willst du wissen?«
»Ich untersuche den Mord in Berlin. Es gibt da einige Punkte, zu denen ich dich befragen möchte.«
»Ich habe meine Aussage bereits zu Protokoll gegeben.«
»Ja, aber ich brauche noch mehr Informationen. Du musst dich in den nächsten Tagen auf weitere Störungen gefasst machen, das ist unvermeidlich.«
»Na schön.« Helgi legte das Element zur Seite, das
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