Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)

Titel: Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Roman Voosen , Kerstin Signe Danielsson
Vom Netzwerk:
unterdrücken, aus dem Zimmer zu stürmen.
    »War das die Geschichte mit diesem Offizier? Dieser ehemalige Trainer von dir?«
    Hultin blickte überrascht auf.
    »Du weißt von Jan?«
    Forss zuckte mit den Schultern.
    »Flurfunk.«
    »Nein, es war nicht mit Jan. Es war nicht mit meinem Trainer. Es war mit Hugo.«
    »Oh«, sagte Forss.
    »Ich dachte nur«, sagte Hultin. Sie lächelte matt. »Vielleicht solltest du das wissen.«
    Vielleicht, dachte Forss. Sie rang sich ebenfalls eine Art Lächeln ab. Vielleicht aber auch nicht.
    10
    Diesmal leistete Hildegard Hedingks keinen Widerstand. Es gab keine Mauer mehr, keinen Eisberg. Alles Eis war geschmolzen. Sie sieht kleiner aus als bei meinem ersten Besuch, dachte Ingrid Nyström, irgendwie ist sie geschrumpft. Die alte Frau führte sie in den Wintergarten. Von dem jungen Hausmädchen war nichts zu sehen, wahrscheinlich hatte sie bereits Feierabend oder einen freien Tag. Selbst in der Dunkelheit war der Blick über den Sund eindrucksvoll, das Wasser zwischen den Schären fing das Licht des Mondes tausendfach, irgendwo landeten große Wasservögel. Die Fähre nach Helsinki blies ihr Signal wie einen Balzschrei.
    »Dein Sohn Walter«, sagte sie.
    »Ja, mein Walter«, sagte Hedingks. Ihre Hände waren gefaltet, ihre Augen wirkten falsch geschminkt, aber das konnte am Licht liegen, das von zwei tief hängenden Pendellampen ausging.
    Die alte Frau sah auf den dunklen, funkelnden Sund hinaus, so als suche sie dort nach etwas, vielleicht nach Worten.
    »Er war noch sehr jung, als sein Vater starb, zwölf oder dreizehn. Ein Teenager. Er hat seinen Vater geliebt.«
    Hildegard Hedingks tupfte mit einem Taschentuch ihre Augenwinkel ab. Dieses Mal hatte die Geste ihre Affektiertheit verloren. Nyström sagte nichts. Sie wartete, bis die alte Frau ihr Taschentuch wieder verstaut hatte. Dann fuhr Hedingks fort.
    »Es war Walter, der Erik damals gefunden hat. Erik war so anständig gewesen, sich in seinem Arbeitszimmer einzuschließen. Dort hat er es gemacht, mit seiner alten Militärpistole. Was er nicht wusste, war, dass Walter einen Schlüssel für das Zimmer hatte. Den hatte er mir Jahre zuvor abgeschwatzt, damit er sich Eriks Sammlung von Schachspielen anschauen konnte, wenn der nicht zu Hause war. Sein Vater war eigen mit diesen Spielen, es waren sehr wertvolle darunter, sogar ein chinesisches aus dem siebzehnten Jahrhundert, die Schachspiele waren sein ganzer Stolz. Auf Walter hatte sich diese Faszination übertragen wie ein Fieber. Er konnte abendelang vor den Schachproblemen aus der Sonntagszeitung sitzen. Er war ein passionierter Spieler, er hat sogar einmal einen Preis gewonnen, einen vierten Platz bei irgendeiner Schulmeisterschaft, der gute Junge. Zusammen gespielt haben die beiden allerdings nie, Erik hat immer gesagt, dass Walter noch nicht gut genug für ihn sei. Und extra schwach zu spielen, das war unter seiner Würde. Ja, er war ein stolzer Mann, auf seine Weise. Ich habe Erik aber auch nie mit anderen spielen sehen, ich glaube, sein Spaß am Spiel war bereits seit Langem unwiderruflich erloschen. Was dagegen blieb, war die Liebe zu seinen Brettern und Figuren.«
    Wieder fummelte Hedingks lange mit ihrem Taschentuch herum. Sie hielt es, als brauche sie etwas, an dem sie sich festhalten könne. Nyström konnte das feine System ihrer Äderchen unter der grauen Haut sehen. Erst jetzt verstand sie, wie alt die Frau vor ihr wirklich war. Wie alt das Leben sie gemacht hatte. Das Schiff auf dem Sund tutete noch einmal. Hildegard Hedingks räusperte sich, als suche ihre Stimme nach dem richtigen Ton.
    »An dem Tag, an dem Walter Erik fand, war seine Kindheit vorbei, sein Gemüt verdunkelte sich. Er kam mit seiner Trauer nicht zurecht, wie sollte er auch? Ich habe Tabletten genommen in dieser Zeit, viel zu viele Tabletten. Walter und ich, wir kamen nicht richtig aus miteinander, ich verlor mehr und mehr den Zugang zu ihm, wusste nicht mehr, was ihn beschäftigte, was in ihm vorging. Er hatte wenige Freunde, glaube ich. Es war mein Eindruck, gesprochen haben wir über solche Dinge zu wenig. Er ist dann schließlich auf ein Internat gegangen, das war für uns beide die beste Lösung.«
    Die Finger der Frau spielten mit den Zipfeln der Tischdecke. Das Taschentuch war verschwunden. Noch immer stand ihr Blick irgendwo draußen über den Schären.
    »Er war ein verlorener Junge, wenn eine Mutter so etwas sagen darf. Das trifft es. Er war auf eine Art und Weise verloren, die ich nicht

Weitere Kostenlose Bücher