Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
auch Maria infiziert gewesen?«, fragte Hultin.
»Nach allem, was ich über die Krankheit weiß, muss es nicht zwangsläufig so sein, dass eine erkrankte Schwangere die Bakterien auf den Fötus überträgt. Außerdem kam ab Ende der Vierzigerjahre Penicillin auf den Markt, ein wirkungsvolles Medikament gegen Syphilis. Und es gibt sehr verschiedene Verlaufsformen der Krankheit, es ist also gut möglich, dass Fadia an den Erregern gestorben ist, während Maria überlebt hat. Fest steht, dass Maria irgendwann vom Schicksal ihrer Mutter erfahren haben muss. Wahrscheinlich gab es in dem englischen Kinderheim Unterlagen. Sie hat ja auch später den Namen ihrer Mutter angenommen. Irgendwann wird sie auf den Namen ihres Vaters gestoßen sein.«
»Der Mann, der sie und ihre Mutter im Stich gelassen und mit einer tödlichen Krankheit infiziert hat.«
»Wenn das kein Motiv ist.«
»Ich habe heute zwei ihrer Aufsätze gelesen. Sie schreibt viel Kluges und Wahres. Über eine patriarchalisch strukturierte Gesellschaft, über männliche Gewalt, Herrschaft und Verantwortungslosigkeit.«
»Du meinst, du hast ihren Vater in diesen Texten gefunden?«
Hultin berührte mit dem Finger ihre Nasenspitze.
»Ich weiß es nicht, ich bin keine Psychologin. Aber alles, was du erzählt hast, passt zu dem, was sie schreibt. Irgendeine innere Kompassnadel hat sie schließlich zu ihrem Thema geführt. Insofern kann man vielleicht wirklich vom Schatten ihres Vaters sprechen, der auf ihren Texten liegt.«
»Maria musste ihn ihr Leben lang für verschollen oder, noch wahrscheinlicher, für tot halten.«
»Und dann hat sich etwas geändert.«
»Irgendwie findet sie ihren Vater. Oder den Mann, den sie dafür hält.«
»Balthasar Melchior Frost.«
Die Kommissarinnen sahen einander an.
»Und Walter Hedingks. Der Schachmann? Wie passt der ins Bild? Meinst du, das ist ihr Komplize, ihr Kompagnon?«, fragte Hultin schließlich.
»Nein«, sagte Forss und kratzte sich am Kinn. »Ganz im Gegenteil, befürchte ich.«
8
Als er am Bahnhof in Göteborg eintraf, war es früher Nachmittag. Er hatte noch viele Stunden Zeit. Er entschloss sich zu einem Spaziergang in die Innenstadt. Auf dem Bahnhofsvorplatz standen junge Männer und verteilten kostenlose Zeitungen, die meisten von ihnen waren dunkelhäutig. Sie sind wie Tauben, dachte er, sie verdrecken mit ihren blöden Gratiszeitungen die Gegend.
Er folgte dem mäandernden Lauf des Kanals, bis er nach Haga kam. Das stehende Wasser hatte die Farbe alten Motoröls. In Haga setzte er sich in ein Café, das Husaren hieß. Er bestellte einen Kaffee und eine Zimtschnecke. Das Gebäckstück war riesig, er hatte noch nie zuvor eine so große Zimtschnecke gesehen. Er nahm eine Zeitung, eine richtige Zeitung, keines dieser Umsonstblätter, und schlug den hinteren Teil auf, die Seite mit dem Schachrätsel. Heute war es amateurhaft einfach. Er hatte es gelöst, noch bevor er seinen Kaffee zur Hälfte getrunken hatte. Außer ihm waren nicht viele Leute in dem Café, ein junges, hippes Paar, ein Tisch mit den ewigen deutschen Touristen. Zum ersten Mal seit Tagen entspannte er sich ein wenig. Er wusste, was zu tun war. Vaters alte Militärwaffe in der linken Tasche seiner Wachsjacke wog angenehm schwer. Aber jetzt, in dem Moment der Entspannung, ließ er seine Hand in die andere, in die rechte Tasche seiner Jacke wandern. Als er den seidigen Stoff befingerte, der sich darin befand, bekam er vor Wohlgefühl eine Gänsehaut.
9
Einen Augenblick war es still, die beiden Frauen dachten über das nach, was sie rekonstruiert hatten.
»Vielleicht wird noch jemand sterben.«
»Vielleicht ist es bereits geschehen.«
Plötzlich sah Hultin Forss an. Es war ein Blick, wie ihn Forss von Hultin nicht kannte.
»Warst du schon einmal schwanger?«
»Ob ich Kinder habe?« Forss erschrak über das Entsetzen, das sie in ihrer eigenen Stimme hörte.
»Ob du schon einmal schwanger warst.«
»Nein. Du?«
Hultin sah jetzt weg, und Forss begriff, was sie erzählen wollte.
»Kinder habe ich keine«, sagte sie schließlich. »Aber schwanger war ich schon einmal.«
Forss kratzte eine hartnäckig juckende Stelle auf ihrer Kopfhaut.
»Hast du ... hast du es verloren?« Ihr Mund war trocken. Sie fühlte sich beklommen und unwohl, dem Thema nicht im Geringsten gewachsen.
»Nein. Es war meine Entscheidung. Sozusagen.«
Forss kaute an ihrer Lippe. Sie wollte das nicht hören, das war alles zu nah. Viel zu nah. Sie musste den Impuls
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