Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
bedeckt.
»Wahrscheinlich hast du es auch in Deutschland bemerkt: Ikea versucht weltweit den Eindruck zu vermitteln, wir Schweden seien traditionsbewusste Esser.«
Delgado hatte einen stattlichen Burger in der Hand und sprach mit vollem Mund. »Es ist eine Lüge. In Wirklichkeit sind wir vollkommen Fast-Food-abhängig. Växjö hat mehr Pizzerien als Neapel. Und die weltberühmten köttbullar kommen meistens aus der Tiefkühltruhe.«
Hultin sah ihn vorwurfsvoll an.
»Was redest du für einen Blödsinn? Nicht, dass Stina hinterher denkt, dass dein Gequassel stimmt. Viele Menschen hier kochen sehr traditionell und mit regionalen Zutaten!«
Sie klang spitz, fast wütend und gestikulierte wild mit ihrem halb gegessenen Hamburger in der Hand, während sie sprach.
»Oh, Entschuldigung, ich hatte ganz vergessen, dass du abends vorm Herd stehst und deine Marmelade aus selbst gepflückten Blaubeeren kochst.« Delgados Stimme troff vor Ironie, das konnte man trotz seines vollen Mundes hören. Er wandte sich Forss zu.
»Du musst nämlich wissen, dass unsere Anette hier sehr, sehr stolz ist, Schwedin zu sein. Und ihr Nationalbewusstsein bezieht augenscheinlich unsere schwedische Küche mit ein. Dabei ist sie die schlimmste Fast-Food-Vernichterin von allen. Sie sollte Burger Queen heißen!«
»Halt einfach deine Fresse!«
»Ja, ja, Sieg Heil, Anette!«
»Ihr seid jetzt mal beide still!«, donnerte Knutsson. Sein Småländisch klang so breit, als habe er heißen Rübenbrei im Mund. Dann sah er mit einem Lächeln zu Forss und zuckte mit den Schultern, als wolle er sich für seine Kollegen entschuldigen.
Nyström fasste auf einem Clipboard zusammen, was sie für die wichtigsten Fragen hielt.
»Wen hat er zum Tee erwartet? Wer ist die Frau, mit der er zusammengelebt hat? Lebt sie noch? Sein Adressbuch gibt weder auf das eine noch auf das andere einen Hinweis.«
Knutsson blätterte in dem abgegriffenen Adressbuch.
»Überhaupt stehen hier fast nur Dienstleister drin, soweit ich das überblicke. Nilssons Dachdecker AB, Lindgrens Gärtnerei, mehrere Banken. Sogar Åke Bingström ist dabei.«
»Der Immobilienmakler Bingström, der im Stadtrat sitzt? Der Golfclubvorsitzende?«, fragte Hultin.
»Genau der. Obwohl der früher gar kein Makler war, sondern Klempner. Wusstet ihr das? Abfluss-Åke «, brummte Knutsson. »So hieß der früher. Heute will er davon nichts mehr hören, der feine Herr Golfclubpräsident.«
Nyström räusperte sich.
»Wir haben ein völlig unscharfes Bild, finde ich. Ein alter Mann liegt tot und verstümmelt bei seinen Schmetterlingen in einem Glashaus im Wald draußen hinter Dädesjö. Er hat scheinbar keine Angehörigen und wenig Kontaktzur Außenwelt. Wer hat einen Grund, ihn zu töten? Und dann noch auf eine so grausame Art? Abgesehen von der Tatsache, dass er offensichtlich einen Gast zum Tee erwartete, haben wir nicht den geringsten Anhaltspunkt. Und meine Fantasie reicht heute nicht mehr aus, um mir auch nur ansatzweise auszumalen, was da draußen passiert sein mag.«
Sie machte eine Pause, massierte sich die Stirn. Draußen, hinter der getönten Scheibe des Besprechungsraums, war es längst dunkel geworden. Ein böiger Ostwind warf die Krähen umher, die auf dem Dach der Imbissbude lebten und sich von den Essensresten aus den Mülleimern ernährten. Das Thermometer war wieder unter null gefallen. Nyström spürte Müdigkeit. Und dass sie Gunnar Berg vermisste. Er würde etwas erkennen, selbst in einem unscharfen Bild. Etwas, auf das man zusteuern könnte, eine Landmarke. Vielleicht war es dafür aber noch viel zu früh.
»Lasst uns nach Hause gehen«, sagte sie schließlich. »Es ist schließlich Sonntag.«
Oder das, was davon übrig ist, dachte sie.
11
Maria war eins mit dem Schatten der Bäume. Sie wartete und beobachtete. Schließlich wurde ihre Geduld belohnt. Im Haus wurden die Fenster dunkel, eins nach dem anderen, zum Schluss erlosch das Licht in dem riesigen Glashaus. Nun gab es keine Schatten mehr, nur noch Dunkelheit. Sie hörte aus der Ferne das Geräusch abfahrender Autos. Sie zählte bis hundert, zur Sicherheit. Es war eine willkürlich gewählte Zahl, sie war nicht abergläubisch, im Gegenteil. Als sie fertig gezählt hatte, machte sie sich auf den Weg. Nun war sie sich sicher, dass niemand mehr auf dem Grundstück war. Die einzigen Zeugen, die ihrem ungewöhnlichen Tun beiwohnen würden, waren die Koikarpfen und die Schmetterlinge, ansonsten gab es hier nur leblose,
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