Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
schimmernden Dach einen schreienden Komplementärkontrast, der in seiner Intensität abendliche Spaziergänger zu beeindrucken vermag.«
»Hört, hört!«, feixte Knutsson.
»Hast du einen Reiseführer auswendig gelernt?«, fragte Hultin trocken.
»Ich habe halt rhetorisches Talent«, grinste Delgado.
»Und der Smålandflieger?«, fragte Forss ungeduldig.
Delgado räusperte sich.
»Warum der später als ›Smålandflieger‹ bekannt gewordene Wirrkopf ausgerechnet unseren Dom als Ziel seines ›Attentats‹ gewählt hatte, konnte auch die ausufernde Ermittlung vom Staatsschutz nicht aufklären. Ebenso rätselhaft blieb das Motiv des Hobbypiloten. Was konnte man, außer Geisteskrankheit, schon für einen Grund haben, ein Ultraleichtflugzeug in einen Kirchturm zu steuern? Ein Hinweis auf eine radikale religiöse Gesinnung, weder islamistischer noch anderer Prägung, fand sich jedenfalls in der gesamten Ermittlung nicht. Den Experten zufolge hatte der Mann entweder eine brillante Flugleistung vollbracht oder unglaubliches Glück gehabt: Der den Piloten schützende Korpus des tschechischen GFK – Fluggeräts vom Typ Banjo war, nachdem es seine Flügel mit 13 Metern Spannbreite eingebüßt hatte, zwischen den beiden Spitzgiebeln des Doms regelrecht festgeklemmt worden. Wäre der Anflug in einem leicht abweichenden Winkel oder ein wenig weiter rechts oder links erfolgt, wäre das winzige Segelflugzeug wohl zerschellt und dann ungebremst an der Kirchwand herab mehr als dreißig Meter auf den Boden gefallen, und die weltweite Gemeinde der Hobbysegelflieger hätte einen Märtyrer gehabt. So aber steckte das Flugzeug fest. Wie eine Zigarre zwischen den Fingern eines Rauchers.
Im Grunde war die Aktion derart lächerlich, dass die Übernahme der Ermittlung durch den Staatsschutz übertrieben erschien, aber die symbolischen Übereinstimmungen mit dem 11. September 2001 – Flugzeug und Doppeltürme –waren so hoch, dass sich die Hysteriker durchsetzten. Der Mann, den die Feuerwehr schließlich aus seiner misslichen Lage befreit hatte und den man später als Oskar Håkan Zetterberg identifizierte, hatte noch keine halbe Stunde hartnäckig schweigend und ausdauernd an seinen Fingernägeln kauend in unserem Verhörraum gesessen, als die Säpo-Leute in das Büro geplatzt kamen und uns den Fall entrissen.
Zutage brachten sie wenig. Zunächst drangen noch Gerüchte über eine politische Zielsetzung des Piloten an die Medien, die Meldungen reichten von einer angeblichen Protestaktion gegen den israelischen Siedlungsbau in der Westbank bis hin zur Forderung nach einer Senkung der Benzinsteuer. Wenige Tage danach kam es zu einer merkwürdig anmutenden Nachrichtenstille, und bald hatte der Boulevard sein Interesse verloren. Später sprachen seriösere Medien von einer diagnostizierten Schizophrenie, Alkoholeinfluss und einer schweren Kindheit. Noch bevor sein Prozess wegen Gefährdung der öffentlichen Sicherheit unddem Sachschaden an der Kirche begonnen hatte, verschwand der Smålandflieger in einer geschlossenen Anstalt nördlich von Stockholm. Oskar Håkan Zetterberg war wohl eher der Kategorie Mathias Rust zuzuordnen als Mohammed Atta.«
»Dieser verrückte Hund!«, knurrte Knutsson.
»Der ganze Vorfall hätte wohl kaum eine so große, internationale Beachtung gefunden, wenn es keine bewegten Bilder von dem Ereignis gegeben hätte. Aber wie es der Zufall wollte, stand just an diesem sonnigen Nachmittag Mitte Juli ein Kamerateam vom Regionalfernsehen des SVT2 in der belebten Sandgärdsgatan und interviewte einen Ortsansässigen vor der eindrucksvollen Hintergrundkulisse unseres Doms, als Zetterberg sein Fluggerät mit einer Bruchlandung in die kupferne Doppelspitze des Kirchturms setzte. Der Kameramann, ein begabter Bursche, war auf Zack und zoomte im richtigen Moment von dem betulichen Interview in den Hintergrund, in dem sich der spektakuläre Absturz abspielte.
So wurde der Smålandflieger zum Höhepunkt vieler Abendnachrichten und anschließend zum knapp vier Millionen Mal angeklickten YouTube-Hit. Was den Videoclip, zunächst nur bei schwedischsprachigen Zuschauern, dann, nachdem ein paar Schlaumeier das Filmchen mit englischen Untertiteln versehen hatten, weltweit zum Schenkelklopfer werden ließ, war die Tonspur. Der alte Kerl, der da ursprünglich gefilmt worden war, brabbelte irgendetwas von Schmetterlingen bei der Paarung und ihrem abenteuerlichen Flugverhalten. Unser Balthasar Frost, wie wir jetzt
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