Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Gesichtern«, sagte sie schließlich leise. »In einem goldenen Schloss.«
6
In jedem Ende wohnte ein neuer Anfang. Als er wieder erwachte, waren viele Stunden vergangen, das Fieber war verschwunden und mit ihm die Motten in seinem Leib. Was blieb, war ein dumpfer Schmerz oberhalb seines Beckens, dort, wo ihn die Lenksäule am heftigsten getroffen hatte. Die Kraft war in seinen Körper zurückgekehrt. Er merkte es daran, dass er pinkeln musste. Er zog seinen Oberkörper an dem Metallrahmen der Pritsche hoch, schwang beide Beine von der dünnen Matratze, tastete mit den Zehen nach Halt, fand ihn und wagte es: Mit einem Ruck stand er. Zwar pumpte es in seinen Schläfen, aber er stand. Der Schmerz in seinem Bauch war zu beherrschen. Mit tapsigen Schritten ging er auf die Tür der Hütte zu. Die frische Luft umarmte ihn wie einen alten Bekannten. Nackt wie er war, pieselte er gelbe Chiffren in den Schnee, er machte sich nicht einmal die Mühe, eine Hand zur Hilfe zu nehmen, er ließ es laufen wie ein Tier. Ich bin wiedergeboren, dachte er. Am dritten Tage von den Toten auferstanden.
7
»Wir beide ...«, sagte Hugo Delgado und deutete auf sich und Göran Lindholm.
»... sind die geilsten Ermittler ...«, sagte Lindholm.
»... von ganz Schweden!«
»Denn wir haben herausgefunden ...«, fuhr Lindholm fort.
»... hightechmäßig herausgefunden ...«, unterbrach Delgado.
»... hightechmäßig herausgefunden ...«, wiederholte Lindholm.
»... wer der Lebenspartner von Balthasar Frost war«, brachte Delgado den Satz zu Ende.
Anette Hultins Blick pendelte zwischen den beiden strahlenden Gesichtern hin und her.
»Er heißt Johan Lönn«, sagte sie schließlich und stellte den verstaubten Karton, den sie in den Armen hielt, zwischen den beiden Männern auf den Schreibtisch.
»Seine Papiere und Unterlagen standen kistenweise auf Frosts Dachboden. Man brauchte nichts weiter als eine Taschenlampe. Vollkommen lowtechmäßig.«
8
Joachim Haber war ein Spinner, das war Stina Forss sofort klar. Eigentlich hatte es ihr schon gereicht, dem Mann auf die Füße zu schauen: Der Jahreszeit und dem Wetter zum Trotz trug Haber zerfledderte Kunststoff-Trekkingsandalen, ohne Strümpfe. Sie war sich zwar nicht sicher, ob das traurige Schuhwerk Ausdruck einer radikal veganen Anti-Leder-Einstellung, ein Statement gegen die Wegwerfgesellschaft oder die Zurschaustellung von Temperaturunempfindlichkeit war, am wahrscheinlichsten war wohl eine Kombination aus allen drei Gründen. Aber dass Habers modisches Ausrufezeichen eine psychopathologische Dimension hatte, stand für sie außer Frage. Auch der Rest der Erscheinung bot wenig Argumente, um ihren ersten Eindruck ernsthaft infrage zu stellen; interessant war ihrer Meinung nach viel eher, ob sie der Kategorie Spinner das Attribut harmlos oder gefährlich anhängen musste.
Habers sehniger Körper war in eine Art Toga gewickelt, für deren Farbe Forss keine Worte fand. Der Ausdruck Ex-Weiß kam ihr in den Sinn, dann verwarf sie ihn wieder, weil er nicht annähernd die komplexe Mischung aus erdigen Braun- und Grautönen des ehemals hellen Kleidungsstücks beschrieb. Oder handelte es sich tatsächlich um eine umgenähte Bettdecke? Das Alter des Mannes war schwer zu bestimmen, da sich ein großer Teil seines Gesichts unter einem dichten, fusseligen Bart versteckte. Sein langes, schmutziges Haar franste in aaldicken Dreadlocks aus, deren Farbe sie an Staubmäuse erinnerte. Über der hohen Stirn zeigte sich allerdings schon der Ansatz einer Halbglatze. Forss schätzte ihn auf Mitte vierzig. Sie sah kurz zu Nyström herüber, die neben ihr am Tisch des Verhörraums saß. Sie nickte unmerklich, das Zeichen, dass Forss beginnen konnte.
»Wo warst du vorgestern Abend gegen zwanzig Uhr?«
»Ich lebe dort, wo ich hingehöre. In der Natur. Auch samstagabends.«
Sein Gesicht behielt selbst beim Sprechen einen Ausdruck bei, den Forss nur als höhnisch interpretieren konnte.
»Im Übrigen möchte ich hiermit die behördlichen Instrumente dieses autoritären Willkürstaates zum wiederholten Male darüber informieren, dass ich den Namen Joachim Haber abgelegt habe. Ich bin der Moonwolf, und wenn ihr diesen Namen weiter willentlich ignoriert, sehe ich mich gezwungen, den repressiven Maßnahmen mit anwaltlicher Hilfe zu begegnen. Außerdem bestehe ich darauf, dass mir ein gesetzlich zugesichertes Telefonat zusteht!«
Daraufhin war es lange still. Forss registrierte, dass ihre Chefin eine ihrer
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