Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
nahm ihr Telefon aus ihrer Handtasche und schob es langsam über den Tisch.
»Jetzt ist es vielleicht an der Zeit, einen Anwalt anzurufen.«
Haber starrte auf das Gerät. Dann sah er entsetzt zu den Ermittlerinnen hoch. Sein Blick flog von Forss zu Nyström und wieder zurück, fieberhaft schien er nach einem Ausweg zu suchen, das Zucken steigerte sich ins Stakkato. Plötzlich verschwand es. Die Spannung in Habers hagerem Gesicht löste sich in ein Lächeln auf, das schlecht gepflegte Zähne zum Vorschein brachte. Ihm war offensichtlich etwas Wichtiges eingefallen.
»Wann, sagtet ihr, ist dieser Mord passiert?«
»Vorgestern Abend. Am Samstag. Gegen sechs Uhr. Bei Ramnåsa, südlich von Dädesjö.«
Jetzt wurde sein Lächeln wieder zu dem selbstgefälligen Grinsen, das er zu Beginn des Gesprächs zur Schau gestellt hatte.
»Dann kann ich es gar nicht gewesen sein.«
»Und warum nicht, bitte schön?«
»Weil ich am Samstagabend um sechs Uhr ganz woanders war.«
»Und zwar?«
»Auf der anderen Seite von Växjö.«
»Und da hast du was gemacht?«
»Ich war halt essen.«
»Essen?«
»Ja. Beim Max im Sambandsväg, mein Zelt steht dort in der Nähe.«
Nyström lachte laut auf. Es platzte geradezu aus ihr heraus. Forss fand, dass sie empört klang.
»Und das gibt es mit Sicherheit auch auf Video, die haben heutzutage doch überall Kameras!«, beeilte sich Haber anzufügen.
Forss sah ihre Kollegin fragend an. Sie hatte das Gefühl, etwas Entscheidendes verpasst zu haben.
»Wer ist dieser Max?«, fragte sie.
» Max ist eine Fast-Food-Kette! Unser Moralapostel hier, der ach so vegan lebende Moonwolf, war am Samstagabend Burger essen.«
9
Zum Mittagessen war Stina Forss mit ihrer Cousine Maj in einer Pasta-Bar in der Fußgängerzone verabredet. Nach dem Essen tranken sie Kaffee, Filterkaffee, der Forss überraschenderweise gut schmeckte. In Berlin wäre sie niemals auf die Idee gekommen, gefilterten Kaffee zu bestellen, sie wusste nicht einmal, welcher Laden in Mitte oder in Friedrichshain noch Filterkaffee ausschenkte.
Draußen, hinter der Panoramascheibe, regnete es wieder, der moderne Bau der Stadtbücherei auf der anderen Straßenseite war nur in Schemen zu erkennen. Drinnen, vor den Nudel-Vitrinen, stand schmutziges Wasser auf dem Linoleumboden.
»Du warst immer noch nicht bei ihm, oder?«
Maj streute Zucker in den Kaffee.
»Ich bin ... Ich war ... Kann ich den Zucker mal haben?«
Maj schob den Streuer über den Tisch. Auf dem Birkenfurnier klebten Reste von Tomatensoße und Parmesanflocken.
»Du brauchst dich nicht zu rechtfertigen. Jedenfalls nicht vor mir. Ich kann mir vorstellen, dass es nicht einfach ist.«
Hinten in der Küche klapperte Geschirr. Forss juckte es, sie kratzte ihren Ellenbogen. Warum warst du so, Vater? Wir haben dir doch nichts getan.
»Es ist ... Ich ...«
Sie gab es auf, die Worte waren weg, die schwedischen und alle anderen auch.
Maj griff nach ihrer Tasse.
»Trotzdem braucht er dich jetzt, Stina. Wirklich.«
Am Nachmittag ließ sie das Seminar an der Hochschule ausfallen. Das Letzte, was sie in ihrer Stimmung gebrauchen konnte, war eine Horde aufgekratzter Spätpubertierender, die ihre Partygeschichten vom Wochenende austauschten. Wenn sie es nicht längst auf Facebook getan hatten. Stattdessen führte sie einige Telefonate und rief sich ein Taxi.
Am Mörners Väg reihten sich die Autohändler aneinander. Forss hatte in ihrem Leben noch kein Auto gekauft oder besessen. Sie hatte eine vage Vorstellung von einem Leasingvertrag und einem mittelgroßen Wagen, es gab da so eine Werbung, die ihr gefiel, mit einer amerikanischen Schauspielerin, die sie mochte, aber sie konnte sich nicht an die Marke erinnern, geschweige denn an das Modell.
Anderthalb Stunden später war sie in drei Autohäusern gewesen und hatte einen Stapel Prospekte unter dem Arm. Ratloser als vorher stand sie im Regen. Auf der anderen Seite der Straße flatterte eine blauweiße Girlande aus Aluminiumpapier im Wind, das internationale Symbol für Gebrauchtwagenhändler.
Der VW Polo war elf Jahre alt und hatte Ganzjahresreifen. Das war ein schlagendes Kaufargument, fand sie. Zu ihrer Überraschung konnte sie bei dem Händler gleich eine Versicherung abschließen und die Anmeldung regeln. Alles online, man brauchte nichts weiter als seine Personennummer und eine Kreditkarte. Sogar die Nummernschilder blieben am Auto. Das sei in Schweden doch immer so, erklärte der Händler, ein Mensch behalte ja
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