Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
Platz, an dem sie jeden Sonntag Sicherheit und Ruhe fand. Sie mochte den Geruch der Kerzen und der alten Holzbänke, sie mochte Anders’ Stimme, wenn er den Gottesdienst abhielt, und sie mochte den Hall ihrer eigenen Stimme, wenn sie sang. Dann entschied sie sich dagegen, ohne dass sie hätte sagen können, warum.
Als er gegangen war, räumte sie den Tisch ab und stellte die Spülmaschine an. Sie nahm den Staubsauger und saugte die ganze untere Etage. Danach ließ sie sich aufs Sofa fallen. Sie war nass geschwitzt. Sie nahm eine Dusche und zog sich ihren besten Hosenanzug an. Anschließend ging sie noch mal ins Bad und schminkte sich. Das tat sie sonst nur bei Hochzeiten oder anderen außergewöhnlichen Ereignissen.
Anders war trotz des Nieselregens mit dem Fahrrad zur Kirche gefahren, deswegen konnte sie den Audi nehmen, der einen CD – Spieler hatte. Sie entschied sich für Bachs Johannespassion .
Erik Edman hatte ein Haus in Evedal, es stand zwar nur in zweiter Reihe zum See und hatte keinen unverbauten Blick aufs Wasser, aber es gehörte trotzdem zu den besten hundert Grundstücken Växjös. In der Auffahrt standen zwei identische, weiß lackierte Volvo-Flaggschiffe der neusten Generation. Wie abwechslungsreich, dachte Nyström. Sie klingelte.
Ein etwa dreijähriges Mädchen öffnete die Tür und sah sie mit großen Augen an.
Dann erschien im Hintergrund eine hübsche, dunkelhaarige Frau, die ein zweites, jüngeres Kind auf dem Arm hatte. Eine weitere Tür ging auf, und Edman machte das Familienglück komplett. Er trug eine Schürze mit dem Aufdruck Master Of Disaster und hielt ein Küchenmesser in der Hand, an dessen Klinge Petersilienkrümel klebten.
»Störe ich?«, fragte Nyström.
Seit dem grotesken Gespräch mit Iverus war sie Edman aus dem Weg gegangen, und auch ihr Vorgesetzter hatte wenige Anstalten gemacht, ihre Nähe zu suchen. Sie hatte ihn in knappen Memos über das Ermittlungsgeschehen informiert, und es hatte von seiner Seite keine weiteren Nachfragen gegeben. Ihr Verdacht war, dass er damit zufrieden war, dass Hildegard Hedingks bis auf Weiteres aus der Ermittlung herausgehalten worden war und er offensichtlich keinen weiteren Druck aus Stockholm bekam, denn den hätte er wohl ohne zu zögern an sie weitergeleitet.
»Schön hast du es hier am See, Erik.«
Edman hatte sie in sein Arbeitszimmer gelotst. Es war mit Golfutensilien vollgestopft: Pokalen, Schlägern, einem Regal voller bunter Bälle. Es gab sogar eine Art Plastikbahn auf dem Fußboden, auf der man das Einlochen üben konnte.
»Danke. Du bist doch nicht gekommen, um mir das zu sagen? Und was ist dir eigentlich passiert? Hattest du einen Unfall?«
Edman starrte auf ihre geschwollene Nase, schüttelte die Uhr an seinem Handgelenk und stützte sein Kinn auf die Hand. Seine Beine hatte er übereinandergeschlagen. Er ist um seine Chefhaltung bemüht, um Autorität, dachte sie, aber in seiner bedruckten Schürze, umgeben von diesem ganzen Golfnippes, sieht er einfach nur albern aus.
»Nichts weiter, nur eine Kleinigkeit«, sagte sie. Sie sprach langsam, sah ihm dabei in die hellen, hübschen Augen.
»Und du hast recht. Ich bin nicht gekommen, um dein Haus zu bewundern oder deine sicherlich sehr nette Familie kennenzulernen. Ich bin hier, um dir zwei andere Dinge zu sagen.«
Sie schluckte. Dann fuhr sie fort.
»Erstens: Du bist ein miserabler Chef, Erik. Und das hat nur zum Teil mit deiner mangelnden praktischen Berufserfahrung, deinem fehlenden kriminalistischen Sachverstand oder deiner beschränkten Auffassungsgabe zu tun. Oder mit der Tatsache, dass du morgens der Letzte bist, der kommt, und nachmittags der Erste, der geht. Weißt du eigentlich, wie sie dich hinter deinem Rücken nennen? Halbvier-Erik. Ich finde, damit ist dir noch geschmeichelt, eigentlich müsste es Viertel-vor-drei-Erik heißen.
Mir ist es ein Rätsel, wie du auf diesen Posten gekommen bist. Vielleicht hast du Qualitäten, die mir entgehen. Vielleicht hast du ein Talent, dich zu präsentieren, und ja, es sieht ganz hübsch und vertrauenerweckend aus, wie du in den Hochglanzbroschüren in die Kamera lächelst, vielleicht ist es das, wozu man dich braucht, vielleicht bist du deshalb politisch gewollt. Aber glaub mir, jeder einzelne Polizist in Växjö wünscht sich, dass jemand anderes deinen Posten übernimmt, und das hat einen Grund: Du hast kein bisschen Rückgrat, Erik! Als Chef solltest du dich schützend vor deine Mitarbeiter stellen, anstatt ihnen
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