Später Frost: Der erste Fall für Ingrid Nyström und Stina Forss (German Edition)
gewesen war, der sie angefallen hatte, stand für sie außer Frage –, war noch viel zu präsent, um über ihn zu lachen. Außerdem waren ihre Gedanken woanders.
»Sagt mal, wie habt ihr Bingström eigentlich zum Sprechen gebracht?«
Sie sah Delgado an.
Und dann Hultin.
»Es war deine Vorarbeit ...«, sagte Delgado.
»Diese Stina kann sehr überzeugend sein«, sagte Hultin. »Sie ist zu ihm nach Hause gefahren.«
»Stina?«
»Ja, er hat danach gesungen wie ein Vögelchen«, sagte Delgado.
Beide hielten ihrem Blick stand. Dennoch war da etwas in ihren Augen, das sie irritierte. Vor allem bei Delgado.
»Habt ihr eigentlich schon gefrühstückt, oder wollt ihr wenigstens etwas trinken?«, fragte Anders Nyström. »Tee oder Kaffee? Wie steht es mit dir, Schatz?«
Der Moment war vorüber.
Nyström schüttelte den Kopf, Hultin auch. Delgado nahm einen Kaffee. Anders Nyström stand auf und ging in die Küche.
Dann klingelte Delgados Mobiltelefon. Es war Örkenrud. Bingströms Blutprobe stimmte nicht mit den Spuren aus dem Schmetterlingshaus überein, ebenso wenig seine Fingerabdrücke. Das Ergebnis der DNA – Analyse des Haares würde erst in einigen Tagen eintreffen. Aber darauf gab bei der Spurensicherung keiner mehr viel, Bingström war aller Wahrscheinlichkeit nach nicht der Mörder von Henrik Larsson. Delgado bedankte sich und legte auf.
»Verdammt«, sagte Nyström.
»Ja«, sagte Delgado. Und: »Der Brief.«
Hultin sagte: »Es ist der endgültige Beweis, dass Svea Holmgren recht hatte. Unser Toter ist nicht Balthasar Melchior Frost aus Hull in England, sondern Henrik Larsson aus Uppsala.«
Delgado nahm den Faden auf: »Es könnte sich so zugetragen haben: Larsson zieht nach seinem Schulabschluss in die Hauptstadt und nimmt dort ein Studium auf. Studieren könnte er auch in Uppsala, aber womöglich erscheint ihm eine Großstadt der geeignetere Ort, um seine Leidenschaften auszuleben. Im Laufe der folgenden Jahre trifft Larsson Johan Lönn, einen ebenfalls schwulen jungen Mann aus besten Kreisen. Sie verlieben sich und beginnen eine Beziehung, die unter keinem guten Stern steht, denn Adolphius Lönn, Johans einflussreicher Vater, erfährt von der Liebschaft und versucht sie mit allen Mitteln zu verhindern. Eine homosexuelle Beziehung seines Sohnes wäre ein gesellschaftlicher Skandal, den er um jeden Preis vermeiden will. Es reicht schon, dass es Gerüchte um einen schwulen König gibt. Wenn jetzt noch sein eigener Sohn ... Adolphius setzt Hebel in Bewegung. Auf den jungen Henrik Larsson wird Druck ausgeübt. Die beiden Männer sollen voneinander getrennt werden; frei nach dem Motto aus den Augen, aus dem Sinn . Die beiden Liebenden weigern sich, Adolphius tobt, droht, bettelt. Alles ohne Erfolg. Schließlich bittet er in seiner Verzweiflung einen alten Freund der Familie um Hilfe: Graf Wennerberg.«
Hultin nahm den Faden auf: »Nach allem, was ich über Wennerberg in der Kürze nachlesen konnte, war er ein kluger und umsichtiger Mann. Es ist kaum vorstellbar, dass er Larsson gegen seinen Willen mit nach Palästina genommen hat. Ich glaube eher, dass er dem jungen Mann eine Perspektive geboten hat. Stellt euch die Situation Larssons vor: ein junger, begabter Mann, der den Halt im Leben verloren hat. Seine Eltern sind bei einem tragischen Unglück gestorben, er beginnt eine leidenschaftliche Liebschaft, die allerdings keinerlei Aussicht auf Erfüllung hat; Johans Vater droht damit, ihnen das Leben zur Hölle zur machen.«
»Und denk daran, was dir Axelsson über Moberg und die Haijby- und Kejne-Affäre erzählt hat!« Delgado ergriff noch mal das Wort: »Eine offene homosexuelle Partnerschaft wäre damals sozialer Selbstmord gewesen. In dieser Situation spricht ihn Graf Wennerberg an. Er bietet Larsson eine Stelle an. Er ist soeben zum UN – Vermittler berufen worden und wird in dieser Funktion nach Jerusalem fahren. Einen jungen, klugen Mann wie Larsson kann er in seiner Entourage gebrauchen; als Sekretär, als persönlichen Assistenten, als Laufburschen, was weiß ich. Larsson fühlt sich wahrscheinlich von dem Angebot geschmeichelt. Der berühmte Graf! Die Vereinten Nationen! Palästina, Israel, Weltpolitik! Es winken Abenteuer, Ruhm und nicht zuletzt ein ordentliches Einkommen. Der Preis dafür wäre, den geliebten Johan zurückzulassen. Larsson denkt nach. Darf er seine Liebe für eine Karriere opfern? Soll er tatsächlich seine Gefühle verraten? Aber andererseits: Was für eine Chance hat die
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