Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Fröhlichkeit und frühes Leid. Ich liebe diese Cafés in ihrer rumpeligen Romantik aus abgenutzten Wohnzimmersesseln, Dreißigerjahre-Couchtischen und Etageren. Solche Dinge kenne ich aus meiner Kindheit, es gab sie nach dem Krieg bei Leuten, die nicht ausgebombt waren. Unter dem goldenen Schein pergamentener Lampenschirme schienen Reste von Nestwärme auf. Ich mache mir selten Gedanken darüber, wie ich wirke in dieser Umgebung, vielleicht wie ein Möbel, das zum Stil passt, Retro. Ich sitze am liebsten auf dem Verlobungssofa, allein; wenn ein Mann oder eine Frau über fünfzig auftaucht, gehe ich; da greift so was wie ein Alleinvertretungsanspruch, ich möchte die einzige Alte unter den Jungen sein.
Als ich siebzehn war und gern das Pressecafé in der Friedrichstraße aufsuchte, saß dort zwischen übermütigen Bildhauern, aufstrebenden Schauspielern und jungen Taugenichtsen tagtäglich eine alte Dame, man sagte, sie sei die Nichte von Gustav Noske. Die Noske-Nichte saß immer am selben Platz, immer vor derselben Säule. Wir, die wir jung waren, nannten sie die Säulentante. Nun bin ich die Säulentante.
Das schließt nicht aus, dass mich das Personal dieser Art Cafés zuweilen duzt: Möchtest du den Americanozum Hiertrinken oder To go? Geduzt werden heißt jung sein, dazu gehören, zur Generation der coolen Coffee-to-go-Trinker. Das an mich gerichtete Du bedeutet genau das Gegenteil, es führt mir vor Augen, dass ich nicht jung bin und dass ich nicht zur Szene gehöre; dass man aber annimmt, dass ich gern jung wäre und dass ich gern zur Szene gehören würde, man will mir einen Gefallen tun. Das macht dieses Du irgendwie genant.
Ich weiß immer nicht, wie ich dich ansprechen soll, sagt der schlaksige Junge mit der Mafiamütze hinter der Bar. Wie’s so kommt, sage ich. Dann duze ich Sie, Sie sind doch locker, beschließt der Junge, ich bin Mario, der Barista. Gegen Schmeichelei ist man wehrlos, da kann man nichts anderes tun, als sich ein bisschen in die Tasche lügen.
Als Subjekt der Begierde bin ich ausgeschieden, freiwillig. Als Objekt auch. Streift mich der Blick eines Mannes, halte ich ihn für einen Perversen, einen Verrückten oder Kriminellen. Mein letztes Kompliment habe ich vor fünf Jahren gekriegt, von einem Typ, der hinter der Frau an sich her ist, chercher la femme als Permanentprogramm, Frauen sind nicht austauschbar, auch ältere Damen nicht, mein Lieber. An einem Abend in der Kneipe, die ich öfter aufsuche, war der Typ beleidigt, weil ich ihn nicht beachtete. Ziemlich betrunken rief er, vermutlich mit der Absicht, mich zu kränken: Du bist doch auch schon fünfzig! Welch ein Triumph, ich war zehn Jahre älter.
Es gibt Komplimente, die mir mehr bedeuten. Arbeiten Sie noch? – bei dieser Frage ist klar, man hält mich für so alt, wie ich bin. Wenn aber das Mädchen bei Rossmann mir einen schönen Feierabend wünscht,bin ich froh, sie hält mich für eine Teilnehmerin am Arbeitsleben, also für jünger. Ich wünsche Ihnen ein fabelhaftes Wochenende, sagte gestern eine Verkäuferin anstatt des geschäftsmäßigen Schönen Tag noch, sie sagte wirklich fabelhaft, manche einstigen Wörter kommen wieder. Sie meinte in diesem Moment, für diese drei Sekunden, nicht irgendwen, sondern mich und sah mich dabei an mit jenem Strahlen dunkler Augen, welches das Glitzern der blauen noch übertrifft. Es war ein Freitag, das Mädchen war gut gelaunt, vielleicht freute sie sich auf zwei freie Tage oder auf eine Verabredung, oder weil die Sonne schien. Vielleicht hatte sie gestutzt, weil ich beim Rausgehen nicht Tschüss, sondern Auf Wiedersehen sagte, eine Marotte, die ich seit zwanzig Jahren pflege, auch auf die Gefahr hin, schrullig zu wirken. Tschüss gibt es bei mir nicht oder gar Tschüssi, was soll das? Dabei fällt mir ein, dass ich in meiner Jugend wie selbstverständlich eine Berlinische Verballhornung von Adieu gebrauchte: Atschö, sagte ich, es war üblich und nicht besser als Tschüss. Das Alter neigt, das weiß man, zur Selbstgerechtigkeit. Wenn ich »alt« sage und das auf mich beziehe, ist mir, als würde ich einen Witz machen. Das eigene Alter entzieht sich dem Wissen, man weiß alles und nichts.
Bis vor zwei Jahren bin ich die vier Etagen von unserer Wohnung in kleinen Sprüngen runtergetanzt, freihändig. Da geschah es. Es war Winter, ich tanzte Treppe und fiel, schwer wie eine Bombe im Zweiten Weltkrieg und grollend wie eine Lawine, die Treppe runter bis vor die Tür einer Nachbarin,
Weitere Kostenlose Bücher