Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
bezieht eben jenes Hotelzimmer, denn Konrad ist ihr Mann, die Kalbsfüßige muss gehen. Vorwürfe, Notlügen, Tränen. Nach zwei Gin Tonic wird gelacht, sie übt sich in der Rolle der starken Frau. Später hat sie sich öfter gefragt, warum sie Konrad nicht geohrfeigt hatte und nicht die Kalbsfüßige. Warum sie nicht die ganze Hotelhalle zusammengeschrien und die Tische in der Brasserie leergefegt hatte. Konrads erste Frau, die bedauernswerte Peyrette, sei in solchen Fällen mit einem Regenschirm auf ihn losgegangen, hatte er mal spöttisch bemerkt. Außerdem wusste Sylvia es, von Anfangan wusste sie es, Konrad hatte kein Hehl daraus gemacht: Ich liebe dich, aber ich kann dir nicht treu sein. Ich kann dir nicht treu sein, aber ich liebe dich. Treue? Treue. Treue? Treue. Sylvia ist unglücklich. Erst später wird sie eine Art Verständnis für das entwickeln, was so treffend Fremdgehen heißt. Man will noch einmal neu sein für einen Fremden, vor dem man eine andere Vorstellung seiner selbst geben kann, andere Seiten seiner Persönlichkeit ausleben. Fremdgehen heißt auch, sich selber kennenzulernen. So viel Verständnis allerdings beruht auf der harten Schule des Lebens.
Die Erdbeerkorb-Szenen wiederholen sich, die Kalbsfüßigen wechseln. Sylvie leidet und lernt. Bis sie ihren Nutzen zieht. Du warst auch kein Kind von Traurigkeit, Sylvia, sagt Konrad neuerdings öfter. Weil ich ein Kind von Traurigkeit war, musste ich kein Kind von Traurigkeit werden, erwidert Sylvie.
Nach einer anstrengenden, wilden Jugend, nach einem anstrengenden, wilden Mittelalter mit zwei anstrengenden, wilden Kindern, saßen Konrad und Sylvie eines Morgens in der Küche beim Frühstück. Tags zuvor war auch die zweite Tochter, die jüngere, ausgezogen. Am Küchenschrank hingen die Lauflernschuhe der beiden, fünf Zentimeter breit, zehn Zentimeter lang. Es lebte ein Alter mit seiner Alten, bemerkte Konrad mit philosophischem Lächeln.
Ruhe! – Sylvie tuschte sich wie immer beim Frühstück die Wimpern: Ich bin viel jünger als du, acht Jahre, fast neun, das ist eine ganze Generation.
Du bist schön, sagte Konrad und schnitt mit einem Spezialmesser hauchdünne Scheiben vom Käse.
Damit du auch so schön wirst wie ich, musst du dich erstmal rasieren.
Nur jeden zweiten Tag, außerdem hast du dich nicht dafür bedankt, dass ich mich gestern rasiert habe.
Ich gehe immer noch davon aus, dass sich ein Mann täglich rasiert und dass das eine Selbstverständlichkeit ist.
Sie teilten sich wie jeden Morgen eine große goldene Kiwi. Es lebte ein Alter mit seiner Alten.
Aus dem Leben einer älteren Dame –Sylvia
Nichts macht schneller alt als der immer vorschwebende
Gedanke, dass man älter wird.
Lichtenberg
Wenn ich ein Café oder ein Bistro betrete, verstummt kein Gespräch, ist kein Auge auf mich gerichtet, niemand ruckelt nervös auf dem Stuhl hin und her. Alles bleibt wie es war, bevor ich auftauchte. Ich finde das in Ordnung, dieses Verschwinden in den Hintergrund, das ältere Frauen öfter bedauern. Ich habe es lange genug gehabt, das Strammstehen vor meinem Dekolleté, die Hab-Acht-Stellung beim Klacken meiner hohen Absätze, das ehrfürchtige Verstummen vor einem Lächeln. Das ist kein Verschwinden, das ist Schichtübernahme, die hat Vorteile. Eine Freundin tanzte noch mit Mitte Vierzig im Fernsehballett, in der zweiten Reihe nunmehr, in der ersten tanzten sozusagen ihre Töchter, aber sie tanzte noch mit, darum ging es ihr, das Tanzen in der zweiten Reihe bereitete ihr beinahe mehr Vergnügen als in der ersten, weil sie es für sich tat, aus Spaß am Tanzen, ohne Ehrgeiz.
Wo ich wohne, sind die Menschen nicht älter als neununddreißig. Alte sind rare Exemplare, die Mütter und Großmütter der Zugezogenen leben in Stuttgart, Hannover oder Wanne-Eickel und kommen selten in das Wildgehege Prenzlauer Berg. Die angestammten Alten sind weggezogen, weil sie die teuren Mieten nicht mehr bezahlen konnten oder wollten. So beschränkt sich der Altenanteil auf einen Antiquitätenhändler, einenKunstwissenschaftler mit schlohweißem Haar, einen Gemüseverkäufer und die krumme kleine Frau mit der Hasenscharte, die Flaschen aus den Abfallbehältern klaubt und sich gleichgültig zwischen die geparkten Autos hockt und pinkelt; sie hat nichts mehr zu verlieren.
In den Cafés der Gegend liegt der Altersdurchschnitt bei höchstens neunundzwanzig, ich verkehre dort undercover, höre junge Stimmen, sehe junge Gesten, beobachte jugendselige
Weitere Kostenlose Bücher