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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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anderen Alten. Der erhebt drohend die Faust gegen seinen Kumpel: Was haste gesagt, alte Sau haste gesagt?! Der Tresenkraft gelingt es, den Streit zu schlichten.
    Der Homo senex trägt große weiße Zähne im Gesicht, die haben ihn ein Vermögen gekostet, das soll zu sehen sein, wenn schon neu, dann ladenneu, makellos und lupenrein. Solche Zähne hat er nie im Leben gehabt, Kronen wie Kacheln sind die Krönung seines Alters, ein Sieg der Kultur über die Natur. Selbst Alte, deren Profession das Ästhetische ist, können der Makellosigkeit nicht widerstehen, auch die Zähne von David Bowie und Wolfgang Joop sind groß und weiß.
    Alte Männer bevorzugen beigefarbene Hosen, sportliche Windjacken und geflochtene Sommerschuhe, einzelne Exemplare der männlichen Spezies trifft man neuerdings mit Crememasken auf dem Gesicht in denSchönheitssalons. Sie nehmen sich junge Frauen, und ein paar Jahre später werden sie von ihnen wie Pflegefälle in der Obhut ihrer Krankenschwester durch Vernissagen und Empfänge geleitet, denn paradoxerweise führt die Liaison mit der Jugend mitunter zu vorzeitigem Verfall. Ein großer Teil der älteren Frauenschaft ist auf Kurzhaarschnitte und Kasackblusen abonniert, manche lassen ihr Haar naturgrau rauswachsen und behaupten, das würde ihr Selbstbewusstsein stärken. Andere tragen Jeansjacken mit Nieten, lassen sich Botox spritzen und frequentieren Fitnessstudios; einen jüngeren Mann hat selten eine. Andere sind einfach alt, ohne Begründung, ohne Rechtfertigung, ohne sich zu wehren. Kein Botox, keine Fitness, statt dessen Filzpantoffeln und Weinbrandbohnen. In Seelenruhe alt sein können, mehr erwarten sie nicht vom Leben, und das kann viel sein. »Hoffnung ist ein gutes Frühstück, aber ein schlechtes Abendessen«, sagte Francis Bacon.
    Drei Freundinnen betreten ein Kaufhausrestaurant, alle drei haben lange blonde Haare. Die eine trägt ihr Haar offen, die zweite zum Pferdeschwanz gebunden, die dritte mit goldenen Spangen hochgesteckt. Aus einiger Entfernung sehen sie aus wie junge Mädchen, auf kürzere Distanz kommt der Verdacht auf, dass die Jugend dieser Frauen im Präteritum liegt, ihre vorsichtigen Bewegungen deuten auf Probleme mit Rücken und Gelenken hin. Aus der Nähe schließlich wird offenbar: Die blonde Haarfülle umrahmt solariumgebräunte Gesichter gut situierter Frauen Mitte sechzig. Die drei kündigen etwas an, das es nicht mehr gibt, ihre Signale blinken ins Leere. Die so stolze wie rührende Weigerung, im grauen Heer der Alten anzuheuern, leuchtet im strahlenden Blond einer vergangenenMittsommernacht. Sich selber treu zu bleiben ist schwer.
    Der Homo senex wendet sich gern den kleinen Dingen des Alltags zu, er hat ja alle Zeit der Welt. Zum Training seines Gedächtnisses löst er Kreuzworträtsel und Sudoku-Aufgaben, liest Apothekenumschauen zur Erhaltung seiner Gesundheit und die Discounter-Beilagen der Zeitungen, um dem wahren Leben in Form günstiger Kasslerrippen nahe zu sein. Tierfilme sind die Lieblingssendungen des Homo senex, ihr Anblick spendet ihm Trost, besonders der der Jungtiere. Neben allen Gruppenmerkmalen sind Alte höchst unterschiedlich, das Leben hat sie so oder so oder so gemacht, zu achtzigjährigen Marathonläufern oder sechzigjährigen Fernsehsüchtigen, zu fünfundsiebzigjährigen Bestsellerautoren oder fünfzigjährigen Demenzkranken. Alte sind bitter oder lustig, argwöhnisch oder offen, gesellig oder einzelgängerisch. Sie sind die Summe ihrer vorangegangenen Existenz, inklusive Zufall und Schicksal. Man könne, meinte Schopenhauer, das Leben mit einem bestickten Stoff vergleichen, von dem man in der ersten Hälfte seines Lebens die richtige, in der zweiten jedoch die Kehrseite zu sehen bekäme. Die Kehrseite sei nicht so schön, aber lehrreicher, weil sie den Zusammenhang der Fäden erkennen ließe.
    Die Körpersprache des Homo senex signalisiert Reduktion, Rückzug, Verinnerlichung. Kleine Schritte, schmale Gesten, leise Stimmen – Selbstbeschränkung, Kräfte sparen; nicht mehr Was kostet die Welt, sondern Was kostet mich Kraft. Solche Reduktion kann melancholisch sein. Berthold liebte sein Leben lang das Reiten, im Trab über die Felder, im Galopp über eine Wiese, auf dem Rücken des Pferdes erlebte er Glück.Irgendwann war er zu alt für Pferde. Seine sechzehnjährige Tochter, der er das Reiten beigebracht hatte, übernahm die Leidenschaft des Vaters. Sie arbeitete und sparte für ein eigenes Pferd, einen Apfelschimmel. Das erste, was

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