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Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens

Titel: Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jutta Voigt
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hieß es in einem Schlager der siebziger Jahre, ich finde den Nippel seltener denn je. Ein weiteres Symptom: Mein Computer guckt auf mich wie das Uhrwerk aufs Schwein. Gestern war meine Internetverbindung gestört, ich konnte keine Mails versenden. Eine halbe Stunde dauerte das Telefonat mit dem Spezialisten. Geben Sie bitte Ihr Passwort ein! Passwort, Passwort? Keine Ahnung. Haben Sie Outlook? Weiß ich nicht, Entourage steht da. Klicken Sie die Website Ihres Providers an! Provider? Wie, was? Der Spezialist blieb geduldig, fast hätte ich ihm erzählt, ich sei sechsundachtzig, damit er noch mehr Geduld mit mir hat, als er schon hat, er wusste ja nicht, dass ich bereits in jungen Jahren Probleme mit der Technik hatte. Im Alter, sagt man, verstärken sich die positiven wie die negativen Eigenschaften eines Menschen, ich kann also nichts dafür. Wenn auch meine geistigen Fähigkeiten auf voraussehbaren Gebieten zu schrumpfen beginnen, körperlich bin ich erstaunlicher Weise noch nicht geschrumpft, Einmetervierundsiebzig groß war ich, Einmeterdreiundsiebzig groß bin ich, ein Verlust von nur einem Zentimeter, da bin ich stolz wie Lilli Palmer.
    Sobald es Frühling wurde, erfasste mich früher eine wilde Freude, dass es die Welt gibt und die Maiglöckchen und einen neuen Anfang. Ich warte jedesmal auf dieses Gefühl, aber es kommt nicht. Auch mit der Erinnerung an den Geschmack früher Küsse an heller werdenden Abenden in grauen Straßen lassen sich die Frühlingsgefühle nicht heraufbeschwören, Neuanfänge wissen, wo sie hingehören, sie verweigern sich dem Alter. Je älter ich werde, um so weniger Hochgefühlsteht zur Verfügung. Nicht nur der Frühling ist nicht mehr, was er mal war, Weihnachten, Ostern und Geburtstag auch nicht, die Begeisterung ist aufgebraucht. Ein Frühstück hingegen ist immer noch ein Frühstück. Schwarzer Tee, Pampelmusensaft, Toast und eine brennende Kerze, verlässliches Ritual, schöne Wiederholung. Mitten im Frühstück das Telefon. Ein Mann. Sein Name sagt mir nichts, seine Stimme auch nicht. Du kannst ruhig Du zu mir sagen, sagt der Mann. Wer ist er, warum soll ich Du zu ihm sagen, mein Gedächtnis war schon immer miserabel. Erinnerst du dich? Jan ist hier, du hattest einen kurzen braunen Lederrock an. O Gott, denke ich, eine Herzensangelegenheit, ich komme mir vor wie ein Kerl, der so viele Affären hatte, dass er etliche davon dem Vergessen anheimgegeben hat. Der Toast auf dem Teller wird kalt. Können wir uns treffen, ich würde dir gerne ein paar Briefe übergeben, du hast doch sicher eine Email-Adresse, drängelt der Fremde. Ich gebe sie ihm, aus schlechtem Gewissen und um das Gespräch zu beenden.
    Am Nachmittag kommt seine Mail, im Anhang ein Foto, auf dem mich ein älterer Mann mit gelichtetem Haar freundlich ansieht, Typ rüstiger Rentner, er hält einen Blumenstrauß in der Hand. Wir verabreden uns vor dem Café Mira, er soll den Tagesspiegel aus der Jackentasche rausgucken lassen. Ich denke nach. Jan, Jan, Jan, Jan, da dämmert was am Horizont. Das verschwommene Bild eines perfekten Körpers, zu perfekt, wie ich damals fand, Männer mit Muskeln schienen mir egomanisch, wer so viel Wert auf sich selber legte, konnte nichts für andere empfinden, dachte ich.
    Ich rufe die Freundin mit dem pathologisch guten Gedächtnis an. Kannst du dich an einen Jan erinnern,siebziger Jahre? Kann ich, sagt die Freundin, so ein muskulöser Typ, ihr habt euch im Auto geküsst, der hatte ein tschechisches Cabrio, wir sind mit dem über Land gefahren, Antiquitäten einkaufen, der sah nicht schlecht aus. Warum fragst du? Er hat mich gestern angerufen, und ich weiß nicht mehr, wer er war.
    Der Mann wartet vor dem Café, er trägt eine braune Wildlederjacke über einem schwarzen T-Shirt und hat einen trainierten Oberkörper. Wir sitzen uns gegenüber, der Fremde und ich. Er hat Jugendfotos von sich mitgebracht. Damit ich ihn erkenne. Ein junges Gesicht mit einem Mund, der Frauen in die Knie gezwungen haben muss einst, mich auch. Michelangelos David hätte ihm nicht das Wasser reichen können, selbst ein amerikanischer Filmstar ist nichts gegen diesen Mann, wie er damals aussah. Jetzt erkenne ich dich, sage ich. Seine Fotos bleiben auf dem Tisch liegen, so ist er mir weniger fremd. Es ist die Zeit, die aus Nähe Fremdheit macht. Einmal, eines fernen Tages, wirst du mich in der U-Bahn nicht wiedererkennen oder nicht wiedererkennen wollen, du wirst die Straßenseite wechseln, wenn du mich bemerkst

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