Spaetvorstellung - von den Abenteuern des Aelterwerdens
Spitze gewesen, sagte sie. Jetzt spricht die Balletteuse, bemerkte Tom. Sylvia dachte an den Tennessee-Waltz.
Unser alter Freund war für einen Abend auferstanden, hatte alle seine Lichter angeknipst und das alte Leuchten um sich verbreitet, um am nächsten Tag wieder in der Rotweindämmerung zu versinken. Was denkt ihr denn, wer außer euch hierher kommt und sich seine Sachen anguckt, niemand, sagte Daisy beim Abschied draußen vor der Tür, Tom wird weitertrinken, morgen schon. Corriger la fortune? Leben lässt sich nicht korrigieren.
Ungefähr ein Jahr später rief er an, ganz wie früher. Mit kräftiger, nüchterner, fröhlicher Stimme: Ich habe einen Tumor. Auch Daisy klang froh: Tom hat Krebs, ich kann wieder mit ihm reden, er steht auf, er geht aus dem Haus, er kauft ein, er kocht für uns, und im Dezember fliegen wir nach Teneriffa. Wundersame Fügung. Eine Katastrophe hatte die andere abgelöst, Grund zum Glück.
Venedig – die Toteninsel
Venedig liegt im Herzen von Italien.
Und auf dem Breitengrad »Vergangenheit«.
Mascha Kaléko
Es ist kühl am Morgen, der Regen hat die ganze Nacht gerauscht und sich gegen Morgen zum Nieseln entschlossen. Die Heizung geht nicht, Konrad dreht vor und zurück, bis zum Anschlag, weg vom Anschlag, nichts. Du musst Signore Favelli holen, Konrad. Favelli ist der Vermieter der Ferienwohnung, er bewohnt die Zimmer nebenan, ein alter Witwer mit altem Dackel. Die Pullover und Jacken seiner Frau hängen in dem großen Schrank neben Sylvies breitem Bett, viel Kaschmir und Seide. Sie hat die Sachen angefasst und versucht, sich die tote Signora Favelli vorzustellen. Ein champagnerfarbenes Nachthemd mit schwarzer Spitze. Das zartgrün umhäkelte Taschentuch in der rechten Tasche des Morgenmantels deutet darauf hin, dass die Signora schon länger tot ist oder keine Papiertaschentücher mochte. Vermutlich haben die Favellis in dem Bett mit den venezianischen Schnitzereien geschlafen, früher; jetzt schläft Sylvie dort und sieht morgens auf einen dieser Kanäle, die abseits vom Canal Grande als seine Schmuddelkinder ihre Rotzbahn ziehen, und auf die Cafeteria, die bis nachts um zwei geöffnet hat, was selten ist in Venedig.
Am Morgen der Goldenen Hochzeit hat Konrad ihr ein Heft mit schmalen Seiten überreicht, in Goldkarton gebunden: Dialoge am Frühstückstisch, er hat sieüber Jahre notiert. Szenen einer Ehe. Das Heft sei als Liebeserklärung gedacht, hat er gesagt, aber auch »gerichtlich verwertbar für eine Scheidung«.
K: Ich bin dein Mann, guck her, ich bin dein Mann. Hast du ihn dir so vorgestellt? S: Nicht direkt. K: Anstatt, dass du sagst: nicht zu träumen gewagt. S: Hab ich doch gesagt. Nicht direkt, habe ich gesagt.
S: Da ist ein Fleck auf deiner Hose. K: Das ist Puderzucker. S: Davon wird es auch nicht besser, dass man weiß, was es ist.
K: Ich finde mich nicht schön. S: Darum geht es nicht, es geht darum, das Beste aus dir zu machen. K: Tadel ist mein täglich Brot. S: Du kannst froh sein, dass ich dich nicht lasse, wie du bist.
K: Ich nehm doch nun wirklich nicht viel wahr. S: Aber wenn, dann das falsche.
K: Hab ich ein Glück mit dir! Du sagst nie, dass du Glück hast mit mir. S: Ist ja auch ambivalenter, du hast mehr Glück mit mir. So!
Neunundvierzig Seiten Kalendernotizen aus fünfundzwanzig Jahren, in fünfundzwanzig Wandkalendern aufbewahrt, für diesen Tag exakt abgetippt. Der letzte Eintrag:
K: Ich kann ja aus dem Leben scheiden, dann hast du es leichter. S: Du bleibst hier!
Das Protokoll einer Knechtschaft, sagt Sylvie.
Das Gericht hätte ich auf meiner Seite, meint Konrad.
Leider, sagt Sylvie, leider muss die Verhandlung ausfallen, der Gerichtssaal ist nämlich nicht geheizt, ich leg mich wieder hin! Du musst Favelli holen, du bist zuständig, du bist der Diener.
In Venedig kann es kalt sein, man kann getrost auch alt sein.
Hol Favelli!
Stante pede, Königin, fürs Lever!
Kurz darauf kehrt Konrad mit Herrn Favelli und dem Dackel, der auf den Namen Ramon hört, zurück. Signore Favelli bedient das Bild des gepflegten alten Italieners klischeescharf, mahagonibraun gefärbtes Oberlippenbärtchen, Hose mit Bügelfalten, die Jacke aus feinem grauen Strick. Er greift hinter die Heizung, dreht irgendwo, lächelt irgendwie und verlässt in leicht gebeugter Eleganz den Raum, der früher das Zimmer seiner Frau gewesen sein könnte, der Dackel mit dem spanischen Namen folgt ihm. Caldo, sagt Favelli, caldo per favore. Grazie, bedankt sich Sylvie,
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