Spaghetti in flagranti
gedachte. Meist blieb ich ihm die Antwort schuldig, und ich hatte auch ganz gewiss nicht vor, ihm morgen beim Frühstück Rede und Antwort zu stehen. Was ich mit Otto tat oder nicht tat, war allein meine Sache.
Bisher taten wir ja eher nichts, aber das würde ich ganz bestimmt niemandem auf die Nase binden, schon gar nicht meinem Vater. Dabei hätte der zurückhaltende Deutsche mehr als genug Chancen gehabt, den ersten Schritt zu machen. Allein beim Strandspaziergang hatte ich mehrfach die Huch-ist-mir-kalt-Nummer abgezogen, und immerhin hatte er mir beim dritten Anlauf tatsächlich seine Jacke um die Schultern gelegt. Und für eine Millisekunde seinen Arm dazu. Aber erstens war es so kurz, dass ich später dachte, ich hätte es mir nur eingebildet, und zweitens hatte es sich angefühlt, als hätte ich ihn mit vorgehaltener Waffe dazu gezwungen.
Jeder Italiener, der seine Sinne halbwegs beisammenhatte, hätte die Ermunterung sofort verstanden und die Chance ganz sicher nicht ungenutzt verstreichen lassen. Otto dagegen schien in dem Punkt eine völlig andere Sprache zu sprechen. Aber gut, eine Unterweisung in interkulturellen Flirttechniken durfte man von seinem komischen Businesskurs dann doch nicht erwarten. Da wäre zio Gaetano als Lehrmeister deutlich mehr geeignet. Ich war überzeugt, mein Onkel würde als eingefleischter Junggeselle mit jahrzehntelanger Erfahrung im Umgang mit Frauen aller Altersklassen jederzeit zu Anlernzwecken parat stehen, selbstverständlich unentgeltlich.
Knapp eineinhalb Wochen später taten Otto und ich dann aber doch endlich das, was ich die ganze Zeit schon hatte tun wollen.
Es war Samstagabend, und wir waren mit Vale und der gesamten Clique unterwegs. Erst ging’s in eine Osteria in den Bergen, wo wir ausgiebig tafelten, und von dort weiter zum Dartspielen. Wir amüsierten uns prächtig, und ich war überglücklich, als Vale und Otto, die ein Team bildeten, am Ende den Sieg davontrugen und darauf anstießen. Von wegen blasse Weißwurst, dachte ich nur. Anschließend ging es dann noch zur Krönung des Abends ins Miramis.
»Wow, das nenne ich mal italienisch anstehen«, staunte Otto nicht schlecht über unseren Deal mit dem Türsteher.
»Gelernt ist eben gelernt«, meinte Giorgio nur.
Auch die riesige, in den rohen Fels gehauene Tanzfläche, wo bunte Lichter über die tanzenden Leiber zuckten, machte Eindruck auf meinen deutschen Gast. Im Sommer standen auf der Freifläche lauter Zweiersofas mit Palmen als Sichtschutz und winzigen Korbtischen davor – ideal, um sich näherzukommen. Jetzt in der Nebensaison wirkte die leere Terrasse mit den schwarzen Schieferplatten im spärlichen Licht der Außenbeleuchtung eher trostlos. Auch waren nur drei der fünf Tanzflächen und eines der Restaurants geöffnet, und dennoch verliefen sich die Gäste in dem Areal.
Die Stimmung war trotzdem ausgelassen, immerhin war heute Ausgehtag, da kamen die Leute aus der ganzen Region hierher nach Gabicce, um abzufeiern. Wir ließen uns anstecken und stürmten zu siebt die Tanzfläche.
»Na, gefällt’s dir hier?«, brüllte ich Otto ins Ohr, nachdem wir eineinhalb Stunden nonstop getanzt hatten.
Leicht außer Atem lächelte er mich an. »Die Musik ist echt top, und die Leute sind richtig gut drauf. So was könnten wir in München auch gebrauchen. Aber ich glaube, ich kann nicht mehr. Kommst du mit, was trinken?«
»Klar!« Ich gab Vale per Zeichensprache zu verstehen, dass wir zur Bar gingen, und trippelte auf meinen Highheels hinter Otto her.
Jeder mit einem Mojito versorgt, saßen wir kurz darauf in einer Sitzecke in der Chillout Lounge. Hier war die Musik immer noch ohrenbetäubend laut, und wir mussten uns anschreien, was wirklich sehr romantisch war. Das Gute daran war, dass wir ganz dicht beieinandersaßen und ich beim Rüberbeugen wie zufällig seinen Arm streifen konnte, während ich ihm ins Ohr brüllte. Bei jeder Berührung durchzuckte es mich wie ein Blitz, und gerade als ich mir Gedanken über die Leitfähigkeit von Ottos Hemd machen wollte, küsste er mich. ENDLICH !
Es war … ohne Worte.
Und viel schöner, als ich es mir vorgestellt hatte. Wir vergaßen die Welt um uns herum, wir blendeten die laute Musik aus, wir versanken im Blick des anderen, wir waren einfach bloß da. Nur wir beide.
Irgendwann riss Vale mich unsanft aus meiner seligen Trance. Sie tippte mich an der Schulter an und sagte: »Ich sehe, ihr seid beschäftigt. Wir gehen dann jetzt.«
»Ja, alles klar«,
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