Spatz mit Familienanschluß
Wunderbarsten auf der Welt, daß zwei vollkommen fremde Menschen mit der Zeit immer vertrauter werden und schließlich eine Familie gründen.
Wir, Martin und ich, lernten uns in Bibione kennen, und zwar durch eine Verwechslung. Ich kam klitschnaß aus dem Meer und von der anschließenden Dusche an meinen Platz zurück. Und wer lag da auf meinem Badetuch? Er! Wir hatten nämlich die gleichen Badetücher, seines lag etwa fünf Meter weiter im Sand. Zunächst dachte ich natürlich an eine Frechheit, aber als ich merkte, wie verlegen der arme Junge war, tat er mir fast leid. Ich mußte ihn beinahe trösten. Und dafür war mir Martin so dankbar, daß er mir nicht mehr von der Seite wich. Sehr bald merkten wir, daß wir nicht nur die gleichen Badetücher und das gleiche Sonnenöl hatten. Auch unsere Koffer waren von der gleichen Größe, Farbe und Marke. Ja, und was das wichtigste war, wir hatten die gleichen Ansichten. Wir waren für die Schonung der Umwelt und der eigenen Nerven. Und wenn wir schon heirateten, wir dachten natürlich nicht — oder besser gesagt noch nicht — daran, einander zu heiraten, aber wenn wir schon mit einem Menschen verheiratet sein sollten, dann wollten wir beide auch Kinder haben, drei Stück höchstens und ziemlich rasch hintereinander. In einem Aufwasch sozusagen, damit die Kinder etwas voneinander hatten. Unsere Kinder spielen manchmal, leider viel zu selten, sehr schön miteinander. Wenn Markus immer brav nachgibt, verläuft das Spiel sehr harmonisch. Aber wehe, er versucht einmal, seinen Willen durchzusetzen, was die beiden Damen ja sonst immer tun. Da fliegen die Fetzen, kann ich Ihnen sagen. Meine beiden Töchter fallen über den Spärlichen her, und da muß ich dazwischengehen. Markus wird immer ganz starr, wenn ihn seine Schwestern durchbeuteln. Er steht dann vollkommen hilflos da, unfähig, Schläge abzuwehren oder gar selbst welche auszuteilen.
Unter uns gesagt, manchmal erkenne ich seinen Vater in ihm. Als ich die Wehen bei Stefanie bekam, ich erinnere mich genau, es war zehn Uhr abends, da fing seine Leidenszeit an. Natürlich wollte er bei der Entbindung dabeisein, aber mein Martin wurde in der Klinik immer bleicher und bleicher und mußte schließlich an die frische Luft hinausgebracht werden, weil er sonst zusammengeklappt wäre. Auch die beiden anderen Male wollte er bei der Entbindung dabeisein. Aber ich sagte: »Bleib lieber draußen, ich kann es nicht mitansehen, was du alles bei der Geburt deiner Kinder mitmachst.«
Ich merke, ich komme ins Reden. Kathrin hat das Talent sicher von mir.
Nur noch so viel: Wir fahren furchtbar gern in Urlaub. Wir haben aus diesem Grund auch keine Luxus-Benzinkutsche, sondern einen geräumigen Kombi, wo alles hineingeht, was wir im Urlaub brauchen. Und der Wagen ist immer vollgestopft, ganz gleich ob wir im Sommer ans Meer fahren oder im Winter in die verschneiten Berge. Warum das so ist, ist mir ein Rätsel, das ich nie lösen werde.
5
Drei Tage geschah einfach nichts. Markus trat in keinen Wäschekorb mit Sammeltassen, er brachte keine Obstkistentürme zum Einsturz, köpfelte dem Ober Renata kein Tablett aus der Hand und wurde auf dem Klo kein Notfall, der befreit werden mußte.
Am Morgen trank er seine Frühstücksmilch mit Instantkakao, aß höchstens eine Viertel Semmel dazu und stürzte aus dem Appartement in den Flur hinaus, rannte den langen Gang entlang, bis zu jener Tür, hinter der Ernst mit seinen Eltern hauste. Kurz danach liefen die beiden mit Eimern, Spaten, Rechen und einigem Kleinzeug zum Strand, wo sie ihre Bauwut austoben konnten. Sie waren davon abgekommen, immer nur öde Burgen zu bauen, jetzt dachten sie sich ganze Landschaften aus, besiedelten sie mit Häusern, Gehöften oder ganzen Dörfern.
Hier tauchten auch immer wieder die Zwillinge Anne und Marie auf, die die beiden Landschaftsgestalter anflehten, mitspielen zu dürfen. Bisher hatten Markus und Ernst diese Bitten immer abgelehnt, heute wurden sie schwach. Das kam daher, weil Anne — oder war es Marie? — ihren Haarschopf hochgesteckt trug, so daß man ihre kleinen rosigen Ohren sah, ein Stückchen noch nicht sonnengebräunte Haut im Nacken, wo die feinen blonden Haare nicht lang genug waren, um mit hochgesteckt zu werden. Nun spielte der sanfte Wind mit ihnen, und auch dies war hübsch anzusehen. Zuerst verliebte sich Markus in, ja, wer war es nun, war es Anne oder Marie? Jedenfalls in den Zwilling mit den hochgesteckten Haaren. Er hätte ihr das auch
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