Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Spatz mit Familienanschluß

Spatz mit Familienanschluß

Titel: Spatz mit Familienanschluß Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Othmar Franz Lang
Vom Netzwerk:
krachte sonderbar weich in die Zuckerbude hinein.
    Dem Altamura auf dem ersten L des Stella Mare verschlug es den Atem. Die Zuckerbude in der Nähe des Brunnens unten auf der Piazza schien plötzlich magnetische Kräfte zu haben, alles rannte auf sie zu und verdeckte die Sicht auf den am Boden liegenden Markus. Etwas später hörte er das Signal des Unfallwagens. Da hielt es ihn nicht länger auf dem L, er startete und segelte hinunter auf das Dach der Zuckerbude. Der Händler klagte, als hätte er eben seine ganze Familie verloren. Kinder weinten, Eltern riefen nach ihnen, und die Sanitäter schrieen: »Platz da! Platz da! Leute, macht Platz!«

8

    »Wie kommt das«, fragte Markus Lucas Altamura, der auf der Balkonbrüstung hockte, »wie kommt es, daß die erste Woche am Meer so lange dauert, die zweite Woche ist dann viel kürzer und die dritte am kürzesten.«
    »Eine sehr gute Beobachtung«, lobte Altamura, »eine Beobachtung, aus der wir lernen, daß Zeit nicht gleich Zeit ist. Ich denke, man muß das so sehen, der erste Tag, das ist der Tag des Ortswechsels, man ist früh aufgestanden und früh losgefahren, die Fahrt bringt uns tausend Eindrücke, wir saugen sie auf, aber zum Schluß der Reise erwarten wir eigentlich nur das Ortsschild unseres Zielortes, da können Ruinen stehen, herrliche Palazzi, wunderbare Kirchen, wir wollen nur dort sein, am Ziel. Und dann sind wir da, finden einen Parkplatz, bekommen an der Rezeption einen Schlüssel, sperren die entsprechende Tür auf, betreten das Appartement. Es ist angenehm kühl und dämmrig, denn die Jalousien sind heruntergelassen. Da ist das Wohn- und Eßzimmer mit einer Kochnische, dann ein kleiner Zwischenflur, Elternschlafzimmer, Kinderzimmer und in der Mitte die Toilette und das Bad, vom Wohnzimmer geht’s hinaus auf den Balkon und vom Elternschlafzimmer ebenso, und vom Balkon sieht man auf Pinien, die duften, und dahinter liegt das Meer.«
    »Wie du das schilderst«, sagte Markus bewundernd. »Und dabei hab ich, wie du bemerkt haben wirst, nur das beschrieben, was das Auge wahrnimmt, aber da gibt es noch das Ohr, das Geräusche aufnimmt, die andere Sprache, den Klang von Glocken; die Nase, die die Düfte Italiens riecht. Wo wollte ich hin? Ach ja, und dann kommt der erste Sonntag, domenica, er will schier nicht enden. Die Düfte vom Garten, die aus der Küche, der Weihrauch in der Kirche, einfach all das, was einen italienischen Sonntag ausmacht. Blumen, Blüten, festlich gekleidete Menschen, fein herausgeputzte Bambini, festlich gedeckte Tische, der Duft von Pasta, von gegrilltem Fisch, von Kalbsbraten, mir läuft das Wasser im Schnabel zusammen, wenn ich nur daran denke. Und danach kommt der erste Montag, der erste Dienstag, ach, du kennst ja die Tage der Woche, und schon der Samstagabend ist ein zweiter Samstagabend, der zweite Sonntag hat noch ein bißchen was vom Glanz des ersten, der dritte nur noch etwas vom Glanz des zweiten, die Erlebnisse werden schmaler, sie wiederholen sich und verblassen dabei, die Zeit, so kommt es uns vor, wird kürzer.«
    »Und in fünf Tagen fahren wir zurück«, sagte Markus. »Wirst du deinen Freund Ernst vermissen?«
    »Ernst spielt lieber mit Marie. Die tun wie ein Liebespaar, dabei ist er fast vier Monate jünger als ich. Auch Anne hat gesagt, daß er noch ziemlich kindisch ist.«
    »Und Anne?« fragte Lucas.
    »Anne ist nicht immer gleich. Den einen Tag fällt sie mir beinahe um den Hals, und am nächsten Tag sieht sie mich an, als würde sie. mich überhaupt nicht kennen. Und manchmal spricht sie dann nur mit anderen und nicht mit mir, und ich kann mit ihr überhaupt nicht reden. Weißt du, so ein Gespräch über Probleme, die man hat. Und über die man mit niemand sonst reden kann.«
    »Auch nicht mit deinen sonst doch sehr angenehmen Eltern?«
    »Eben nicht. Den Eltern kann man sagen, mir tut der Hals weh oder der Bauch, ein Zahn, der Kopf. Man kann sagen, da hab ich mir eine Schramme geholt, aber das andere...«
    »Ja«, sagte Lucas. »Das war kein besonders glücklicher Strandaufenthalt. Zuerst die Sache mit der zerschnittenen Hand, kaum war das erledigt, kam das aufgeschlagene Schienbein an die Reihe. Und jetzt hast du die Nase verbunden, die linke Hand geschient und den Mittelfinger gebrochen.«
    »Weil mich Kathrin geschnitten hat.«
    »Ja, zuerst hat dich Kathrin mit dem Fahrrad geschnitten und dann du dich an der Nase.«
    »Nur, weil da der Verkaufswagen mit den Süßigkeiten stand, ich wollte die kandierten

Weitere Kostenlose Bücher