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Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau

Titel: Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joan Anderson , Susanne Aeckerle
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Ich habe eine Ebene erreicht, bleibe aber nur lange genug, um Atem für den nächsten Gipfel zu holen. Diese Reise ist beendet, doch ich fühle mich, als ob mein Leben gerade noch mal begonnen hat.

|143| Glücklich gelandet
    Ich sitze bequem, schaue aus dem Flugzeugfenster auf die sich rasch entfernenden Andengipfel; was mir bleibt, ist die Erinnerung an meine herausfordernde Reise. Zum Glück hält Fliegen die Zeit in der Schwebe und gibt mir die Möglichkeit, mich von einem Ort loszureißen, bevor ich mich dem nächsten zuwende. Das ist gut so, weil ich voller Emotionen bin, die Aufmerksamkeit verlangen. Hier handelt es sich nicht um einen der Augenblicke, wenn eine Arbeit abgeschlossen oder ein Urlaub zu Ende ist und ich nur meine Sachen packen und fragen möchte, was kommt als nächstes? Diesmal möchte ich die Botschaft der Berge festhalten. Doch das fällt schwer in einem voll besetzten Flugzeug, das eine eigene Kultur hat und darauf beharrt, daß der Reisende Teil davon ist. »Guten Morgen, meine Damen und Herren«, kommt eine Stimme aus dem Cockpit. »Wir fliegen in östlicher Richtung über die Anden und werden bald unsere Flughöhe von dreißigtausend Fuß erreicht haben. Wir haben Rückenwind, und es sieht so aus, als würden wir gute zwanzig Minuten vor unserer geplanten Ankunft in Boston landen. Lehnen Sie sich zurück, entspannen Sie sich und genießen Sie den Flug.«
    Ich versuche mich zu entspannen und zur Ruhe zu kommen, aber das fällt mir nach den Wochen ständiger Bewegung nicht leicht. Joan sagte mir, daß Aktivität und Bewegung sich verbünden würden, um mich auf eine neue Ebene zu bringen, und auf dieser Reise ging es sicherlich mehr um den Körper als um den Geist. Ich schüttele meine Hände aus, kreise ein paarmal mit dem Kopf, strecke meine Beine so weit es geht |144| unter den Vordersitz und seufze. Das war einmal ein Körper, der versuchte, akzeptabel und dem Auge möglichst gefällig zu sein. Darauf kam es hauptsächlich an. Die Tatsache, daß er mich enthielt und zwei Kinder getragen hat, mir gelegentlich sexuelles Vergnügen bereiten konnte und wie eine Maschine arbeitete, um mich am Leben zu halten, war unerheblich. Bis zu dieser Reise hatte ich nie mit Respekt an ihn gedacht. Jetzt habe ich ein neues Verständnis für die biblische Metapher des Körpers als Tempel. In früheren Zeiten machte mir mein Körper Schwierigkeiten und schwächte mich, aber jetzt belebt und überrascht er mich. Ich habe ihm ein eigenes Leben gegeben, und er funktioniert weit über meine Erwartungen hinaus.
    Ich greife nach einem Kissen, schiebe es mir in den Nacken, kuschele mich dann unter eine Decke und schaue weiter aus dem Fenster auf die sich türmenden Wolken. Als Joan mich drängte, die Wanderung auf dem Inka Trail zu unternehmen, beharrte sie darauf, daß das Gefühl, Potential zu haben, ein Wagnis zu unternehmen, gewinnbringend sei und mich schließlich beflügeln würde. »Das passierte, als ich nach Europa ging«, erzählte sie mir. »Einen bestimmten Kurs einzuschlagen, dort anzukommen und dann zu erreichen, was ich mir vorgenommen hatte – nämlich in all den Studios für modernen Tanz zu studieren, die ich finden konnte   –, besiegelte meine Unabhängigkeit. Auf jeden Fall ist eine Fülle von Erfahrungen ein potentieller Quell der Weisheit.«
    Sigmund Freud glaubte, daß aus der eigenen Verletzlichkeit Stärke entsteht. Ist das die Kraft, die ich plötzlich empfinde – ein neues Gefühl von Stärke? Eines weiß ich ganz sicher: nach dem Ausbruch aus meiner vertrauten Welt bin ich nicht erpicht darauf, weiterhin so vorhersehbar zu leben. Ich möchte nicht vergessen, nach dem Unbekannten oder Exotischen wie auch nach einem gewissen Maß an Freude zu greifen. »Man muß es sich bloß nehmen«, sagt Joan immer wieder, »und wir müssen |145| es für uns tun. Das Gegenteil von Freude ist Scham und Zweifel. Und das macht wohl kaum Spaß.«
    Die Flugbegleiterin serviert Frühstück und unterbricht damit meinen Gedankengang. Ich verschlinge alles, was mir vorgesetzt wird – Orangensaft, Kaffee, Käseomelett und Wurst   –, eine beachtliche Auswahl im Vergleich zu Instanthaferflocken, Kondensmilch und den Müsliriegeln, von denen wir uns unterwegs ernährt haben. Trotzdem liegt eine gewisse Befriedigung im spartanischen Leben und darin, sich mit dem Unmittelbaren zu befassen. Ich greife nach der Zeitung in der Sitztasche vor mir und erkenne rasch, daß während meiner Abwesenheit nichts

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