Spaziergang am Meer: Einsichten einer unkonventionellen Frau
getan hast«, sagt sie, während Farbe in ihre Wangen zurückkehrt. »Ich habe dich vermißt.«
»Tja, ich hab dich nicht vermißt«, witzele ich.
»Wirklich?« fragt sie bestürzt.
»Nein, du Dummkopf, du warst im Geiste immer bei mir – bei jedem einzelnen Schritt. Ich habe deinen Yin-und-Yang-Anhänger an einem heiligen Platz zurückgelassen und dir dafür einen Stein mitgebracht«, sage ich, wobei ich ihn aus der Tasche ziehe und ihr in die Hand lege. »Weißt du, sie sprechen... die Steine von Machu Picchu.«
|148| »Du hättest mir nichts Schöneres mitbringen können«, sagt sie. »Der sollte mir Bodenhaftung geben. Das Hinfallen ist damit erledigt. Du siehst absolut strahlend aus. Wie ein Stern oder so was.« Sie mustert mich prüfend.
»Wie wär’s mit gestreckt? Sehe ich gestreckt aus?« frage ich, stehe auf und drehe mich einmal um mich selbst. »Auf dieser Reise mußte ich mich ständig strecken, das kann ich dir sagen.«
»Ja, das tust du tatsächlich. Ich wette, du hast Schwierigkeiten, still zu stehen«, meint sie und greift mit der einen Hand nach ihrem Stock, mit der anderen nach mir. »Sollen wir ein Stück gehen?«
»Gerne. Nachdem ich so lange allein und frei war, kam mir der Flug furchtbar vor – völlig eingezwängt und eingeengt.«
»Also gut, erzähl mir alles, von dem Moment an, wo du dort aus dem Flugzeug gestiegen bist.«
»Puh! Du verlangst nicht wenig.« Ich krame in meinen Erinnerungen. »Wo soll ich anfangen... im Moment kommt mir alles ziemlich surreal vor. Ich würde ja gerne sagen, daß alles wieder lebendig wird, wenn meine Fotos entwickelt sind. Aber meine Kamera ging schon am ersten Tag kaputt, und ich war gezwungen, mir alles zu merken. Ich habe unterwegs sogar ein paar Skizzen gemacht.«
»Du mußtest dich also endlich auf das verlassen, was du gehört, gesehen oder gerochen hast. Das ist ganz etwas anderes, nicht wahr?«
»Das und drei Meilen pro Stunde zu laufen. Das Land ist phantastisch. Wir sind durch jede nur vorstellbare Landschaft gekommen, und die Vegetation war überwältigend – es gab sogar wilde Orchideen. Ich habe Wildblumen für dich gepflückt. Sie trocknen in meinem Tagebuch. Übrigens, du hast nicht zufällig peruanische Verwandte?«
»Nicht daß ich wüßte. Warum fragst du?«
»Die Frauen dort haben alle deine Haltung, wie auch deinen |149| Gang, deine Ausdauer und die Fähigkeit, endlos zu laufen!
Fuerte mujeres
hat unserer Führer sie genannt, was starke Frauen auf spanisch bedeutet.«
»Du bist diejenige, die sich heute stark fühlen sollte«, erwidert sie und drückt anerkennend meine Hand. »Du hast es geschafft! Du hast tatsächlich den Inka Trail bewältigt! Niemand kann dir diese Leistung je wieder nehmen. Das ist einer der besten Gründe, eine Reise zu machen.«
»Mag sein«, sage ich. »Eine kurze Woche lang habe ich die Fülle des Seins geschmeckt. Aber wie hält man das wach? Das ist es, was mir Sorgen macht.«
»Nun ja, so eine Erfahrung ist letztlich eine Hinführung zu etwas anderem. Ich nehme an, daß diese Herausforderung dir nicht nur das Selbstvertrauen gegeben hat, das dir vorher fehlte, sondern auch das Bedürfnis geweckt hat, weiterhin an deine Grenzen zu gehen, neue Horizonte zu entdecken, im wörtlichen und übertragenen Sinne. Jetzt müßtest du doch sicherlich mehr Material für deine Essays haben.«
»Meine Perspektive hat sich durch die fremdländische und natürliche Schönheit geändert, soviel ist sicher, und ich habe erkannt, daß das Leben am besten läuft, wenn es einen Austausch zwischen bewußter Ruhe und sinnvoller Aktivität gibt.«
»Na, siehst du. Das ist ein Anfang. Aktivität braucht einen Gegenpol, und Schicksal entwickelt sich immer in der Stille. Ich glaube, du hast es. Jawohl, du hast es«, ruft sie, und ihr Schritt bekommt neuen Schwung.
»Zumindest ist mir jetzt der Schmerz klar.«
»Der was?«
»Du weißt schon, die Sehnsucht, die man empfindet, wenn man nach einem neuen Beginn sucht – wenn man sein Leben durchrütteln muß, um neue Ziele zu finden.«
»O ja, das nennen wir Generativität.«
»Wie auch immer. Dieser Prozeß, mich selbst zu erschaffen |150| und umzuwandeln, hat seit einiger Zeit in mir gegärt. Ich habe mehr gelernt, als ich je für möglich hielt. Ich glaube, daß jeder in meinem Stadium vom Pfad des geringsten Widerstandes abweichen und einen neuen Kurs einschlagen muß. Und wenn das mit einer körperlichen Herausforderung verbunden ist, dann um so besser.«
»Da
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