Spaziergang im Regen
Bühne zu sein kann dir nicht viel dabei helfen zu verstehen, was ich in bezug auf das Publikum sehe oder fühle. Wenn du eine Vorstellung davon bekommen willst, warum mich dieses Premierenpublikum nicht berührt, dann solltest du zwischen ihnen sitzen.« Sie lächelte Shara scheu zu. »Und ich gebe zu, dass ich mich besser fühlen würde, wenn ich wüsste, dass dort draußen mindestens eine Person sitzt, die Musik ihrer Echtheit wegen schätzt und möchte, nein daran glaubt, dass ich es gut machen werde.«
Bei Jessas Worten zog sich Sharas Herz zusammen. »Liebes, daran lässt weder mein Verstand noch mein Herz irgendeinen Zweifel«, erwiderte sie, und damit war die Entscheidung gefallen.
Shara hatte Jessa zuletzt in einem schwarzen Kleid gesehen, als sie in ihrer Garderobe verschwand, gefolgt von Brad, der eine Kleiderhülle und eine Reisetasche im Raum abstellte, hinaustrat, die Tür schloss und sich mit vor seiner muskulösen Brust verschränkten Armen davorstellte. Er würde dafür sorgen, dass Jessa ungestört war, bis sie ihre Garderobe verließ, um ihre vorkonzertliche Runde zu drehen; sie würde zum Probenraum gehen, in dem die Sänger sich aufwärmten, auf die Bühne, wo die Musiker zwischen Presseleuten und Mäzenen umherliefen, und schließlich würde sie sich in die Kulissen begeben und dort warten, nur mit dem Konzertmeister, den Journalisten mit Exklusivrechten und den Leuten, die benötigt wurden, um ein Konzert dieser Größe über die Bühne zu bringen.
Währenddessen würde Brad sich unter das Publikum mischen, und danach Stellung bei der Tür beziehen, die der Bühne am nächsten war, und von wo aus er die Leute dabei beobachten konnte, wie sie Jessa beobachteten. Er hatte Shara gebeten, in seiner Nähe zu bleiben, bis es Zeit war, zu ihrem Sitz zu gehen, und sie dann angewiesen, nach dem Konzert auf ihn zu warten, damit er sie hinter die Bühne führen konnte. Sie hatte nicht einmal daran gedacht, ihm widersprechen zu wollen.
Während sie sich setzte, lächelte sie ihn an, und er nickte ihr zu. Das Orchester war auf der Bühne, und das Publikum verstummte. Shara hielt beinahe ihren Atem an, als sich die Seitentür auf der Bühne öffnete und der Konzertmeister heraustrat. Er verbeugte sich zum Applaus des Publikums, stellte dann das Orchester vor, wobei mehr Applaus erklang, dann verbeugte er sich abermals und nahm seinen Platz als Erste Geige ein. Er gab der Oboe das Zeichen, ein langanhaltendes A zu spielen, damit der Rest des Orchesters die Instrumente ein letztes Mal vor dem Konzert aufeinander einstimmen konnte. Shara hatte das Gefühl, dass die Schmetterlinge in ihrem Bauch zusammen mit den unterschiedlichsten Instrumenten vibrierten, die entweder diesen durchdringenden Ton oder als Kontrapunkt ein B spielten. Sie konnte kaum glauben, wie nervös sie war, wo sie selbst doch gar nicht auf die Bühne musste. Dann sah sie, wie sich die Tür wieder öffnete, und als Jessa herausschritt, vergaß sie alles andere und war nur noch von ihr gefesselt.
Jessa sah umwerfend aus. Das was sie anhatte als ›Männerklamotten‹ zu bezeichnen, wie Derek es getan hatte, wurde dem nicht gerecht, wie vollkommen weiblich der Frack an Jessa aussah. Die silbrige Weste schmiegte sich an ihren Körper und betonte ihre schlanke Taille und den flachen Bauch, und das Weiß-auf-Weiß ihrer maßgeschneiderten Leinenbluse und der Fliege bildeten einen Ausgleich zu ihrer Sonnenbräune und der dramatischen Bühnenschminke.
Shara hatte Jessa noch nie mit Make-up gesehen, nur auf Fotos, und sie fuhr sich mit der Zunge über die Lippen, als sie bemerkte, wie dramatisch Jessas Wangenknochen betont wurden, und wie es ihr einen leichten Schmollmund gab. Jessas Augen waren durch den dunklen Eyeliner betont, so dass sie noch größer und leicht exotisch aussahen, besonders als die Bühnenbeleuchtung die dichten, durch schwarzes Mascara verlängerten Wimpern hervorhob.
Die Länge des schwarzen Fracks und die schwarze Hose mit den längsverlaufenden Satinstreifen ließen Jessa groß und stattlich erscheinen, selbst in den flachen Schuhen, die spiegelblank poliert waren, aber sie verbargen nicht ganz die weiblichen Kurven ihres Körpers. Jessa schritt selbstbewusst in donnerndem Applaus zur Mitte der Bühne und verneigte sich, ließ den Blick durch den Raum schweifen, lächelte höflich und verneigte sich wieder, um die Schmeichelei der Menge anzunehmen, noch bevor eine einzige Note gespielt worden war.
Dann sah Jessa
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