SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
Coachings und Seminare veranstalten für Firmen und Leute, die Lebenshilfe suchen und ihr Leben verändern wollen. Er habe da schon genaue Pläne â so ganz kann er da eben doch nicht aus seiner Haut.
Hartmut Rosa: Von Adorno stammt der bekannte und schöne Spruch: Es gibt kein richtiges Leben im Falschen. Und dem hänge ich auch ein bisschen an: Es gibt keine individuelle Lösung für das kollektive Beschleunigungsproblem. Deshalb misstraue ich zutiefst allen Entschleunigungsratgebern, die uns nahelegen wollen, dass wir nur unsere Lebensführung ein bisschen ändern müssen, dass wir nur gelassener werden müssten â oder unser Leben simplifizieren, wie ein Bestseller heiÃt. Es gibt nicht die einfache Strategie. Was es natürlich schon gibt, sind gewisse Weisen des Umgangs damit. Ich glaube, das Beste, was man tun kann, ist, Distanz gewinnen zu diesem Hamsterrad. Distanz gewinnen zu diesem erbarmungslosen Geschehen. Und dafür haben sich Menschen durchaus wirksame Techniken ausgedacht.
Manche gehen drei Wochen in ein Kloster, um sich auch wirklich abzuschneiden von allen Möglichkeiten, um sich vom Internetzugang oder der ständigen Handykommunikation abzuschnei den. Andere machen Yoga, und wieder andere gehen auf eine ein same Berghütte oder so etwas. Wirksam ist tatsächlich eine ganz bewusste Reduktion von Optionen. Sich also in einen Zustand zu bringen, in dem man gar nicht mehr rennen kann. Deshalb sind wir übrigens ja auch mal in den Urlaub gefahren â weg vom Alltag. Denn im Urlaub können wir ganz viele Dinge, die wir immer tun müssen, nicht mehr tun. Das ist eine Voraussetzung dafür, so etwas wie eine Entschleunigungsinsel, das Leben nochmal aus einer anderen Perspektive zu erleben und zu beobachten.
Man kann auch versuchen â das ist vielleicht ein bisschen künstlich, aber durchaus wirksam â, sich das freiwillig zu schaffen, indem man zum Beispiel an einem Tag in den Terminkalender schreibt: »Nichts!«
»Nichts!« bedeutet dann: An dem Tag tue ich nichts. Und »Nichts!« muss dann eben wirklich »Nichts!« bedeuten. Das heiÃt, man darf den Tag dann nicht heimlich füllen mit »Na ja, da könnte ich mich ja doch noch verabreden oder einen Termin vereinbaren oder so«, sondern man schafft eine Art von Freiraum.
Daran, dass es uns so schwerfällt, das zu tun, sieht man übrigens auch, dass wir uns ganz schön misstrauen. Wir haben Angst davor, uns selbst ausgesetzt zu sein, mit uns selbst zu tun zu haben. Irgendwie haben wir es geschafft, unsere Lebensführung so nach auÃen zu richten: Wir glauben, dass der Wert der Zeit von auÃen kommen muss, durch Stimulation, durch Medien, durch Aufgaben, durch Herausforderungen. Dass da auch etwas Wertvolles in uns sein könnte, ist eine Entdeckung, die viele heute gar nicht mehr machen. Aber es ist durchaus wenigstens gelegentlich interessant, das auszuprobieren.
»Computerkabel kannst du lange fressen, davon wirst du nicht satt« â Bei den Bergbauern
Am nächsten Morgen sitze ich wieder im Zug und schaue aus dem Fenster. Es regnet. Meine Begegnung mit Rudi beschäftigt mich schon den ganzen Morgen: Ich wäge das Für und Wider eines Ausstiegs ab. Klar, Rudi konnte auch aussteigen, weil er im Gegensatz zu mir in seinem vorherigen Leben kräftig Boni gesammelt hat. Mitlaufen, um seine Existenz zu sichern, muss er schon lange nicht mehr. Da lässt sich so ein Ausstieg sicher etwas entspannter angehen. Aber trotzdem: Könnte ich mir auch vorstellen auszusteigen? Welche Konsequenzen hätte es für mich und meine Familie? Will ich das überhaupt? Eigentlich bin ich ja ganz zufrieden mit meinem Leben. Ich bin unentschieden und vertage die Antwort auf meine Frage mal wieder.
Die Regentropfen am Waggonfenster bilden im Fahrtwind geheimnisvolle Figuren und verschleiern den Blick nach drauÃen. Gibt es das gute Leben abseits des Maschinentakts auch, wenn man nicht vorher ausgesorgt hat, und wenn ja, wo findet man es? Als ich mich das zu Hause in Berlin gefragt hatte, war es bestimmt kein Zufall, dass auch ich mir das gute Leben irgendwie sofort in den Bergen vorstellen konnte. Wahrscheinlich ist es ja nur ein Klischee, vielleicht die kindliche Prägung; aber als ich damals in meinem Büro saà und mir vorzustellen versuchte, wie und wo man in Mitteleuropa ein entschleunigtes Leben im Einklang mit der Natur führen
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