SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
hochgespurtet zu sein. Für Fritz scheint es nicht besonders schnell gewesen zu sein. Ist das etwa das entschleunigte Leben, das ich suche? Ganz schön anstrengend. Erst jetzt, wo es hell geworden ist, fällt mir auf, dass Fritz und die anderen alle das gleiche Hemd tragen. Hellblau, mit aufgesticktem Bergblumenmuster: »Das ist das Ãlplerhemd. Das tragen wir immer beim Alpauftrieb.« Wieder so eine Tradition, wie sie die Batzlis lieben.
Um 9.00 Uhr erreichen wir das Ziel: eine Weggabelung auf einem Bergkamm. Von hier geht es zu vier verschiedenen Alphütten, die von vier Bauernfamilien bewirtschaftet werden. Die anderen Familien und ihre etwa fünfzig Kühe warten bereits auf uns. Ich schaue mich in der Runde um und bin sofort begeistert von diesen eindrucksvollen Figuren, die sich da lässig auf ihre zwei Meter hohen Wanderstöcke stützen, Pfeife rauchen und auÃer Fritz fast alle einen sehr ansehnlichen geschwungenen Schnauzbart tragen. Das sind noch richtig gute Typen, sage ich mir insgeheim und bin bemüht, dass meine Begeisterung nicht unangenehm auffällt und hier als Anbiederung verstanden wird.
Fritzâ Mutter Marianne kommt mit einer Schnapsflasche, die reihum geht. Es wird ein tiefer Schluck daraus genommen und jeder Schluck sofort in breitestem Berndütsch kommentiert, einer Form des Schweizerdeutsch, die selbst dem viel in der Eidgenossenschaft herumgekommenen, nicht weit von der schweizerischen Grenze aufgewachsenen Verfasser dieser Zeilen weitgehend unverständlich bleibt. Als ich mit dem Schnaps an der Reihe bin, nehme ich vorsichtshalber nur einen kleinen Schluck, doch der zerreiÃt mir fast den Rachen. Er haut mich regelrecht aus den Latschen, so scharf und hochprozentig ist der. Vergeblich darum bemüht, mir das nicht anmerken zu lassen, gebe ich die Flasche mit gequältem Gesichtsausdruck weiter. Irgendwie komme ich mir in diesem Moment saudoof und etwas deplatziert vor. Mit meiner Berliner-Filmemacher-Uniform (schwarze dicke Brille, grauer Baumwollpulli mit V-Ausschnitt) fühle ich mich in dieser Runde aus kernigen Berner-Oberland-Bergbauern wie ein Fremdkörper. Ob die Uhren hier wirklich anders ticken?
Kurz darauf, die Flasche ist inzwischen ziemlich leer, steigen wir die letzten fünfhundert Meter in eine hochgelegene kleine Talsenke zur Alphütte der Batzlis hinunter. Die Kühe grasen längst davor. Die Alphütte der Batzlis sieht aus wie aus dem Prospekt des Schweizer Tourismusverbands. Ein wunderschönes, etwa hundert Jahre altes Holzhaus mit einer langen Veranda an der Frontseite und einem Stall an der Rückseite. Tier und Mensch leben hier quasi unter einem Dach.
Drinnen hat Marianne, Fritzâ Mutter, bereits Frühstück für alle gemacht. Ich bin ziemlich erschöpft, als wir die gemütliche Stube betreten und uns auf die Bank am Tisch fallen lassen. Aber ich versuche, mir die Erschöpfung nicht anmerken zu lassen. Frisch gebrühter Kaffee dampft in einer Kanne, in einer anderen ist frische Kuhmilch. Daneben steht ein Korb mit frischem Brot und selbstgemachter Käse in allen denkbaren Variationen.
Jetzt endlich sitzen alle zusammen und reden durcheinander. Fritz und Erika, seine Eltern, die kleinen Kinder und die Freunde und Verwandten, die beim Auftrieb geholfen haben. Es geht so laut und herzlich zu, dass es eine Freude ist. Ich gebe Fritz einen kleinen Stoà mit dem Ellbogen in die Seite. Ob er gern Bauer ist, will ich wissen.
»Sehr gern, ja. Und ich bin sehr froh, dass ich eine super Frau habe, die das hier alles auch sehr gern macht. Sie ist voll dabei. Wie der Rest der Familie. Und das ist natürlich sehr schön, das motiviert schon sehr.«
Wirklich? Ich drehe mich zu Erika und schau sie fragend an.
»Ja, wirklich. Mein Herz schlägt für die Landwirtschaft, ganz klar. Mit allen Schwierigkeiten. Ich möchte nichts anderes tun.«
Was denn das Tolle daran sei, Bauer zu sein, frage ich die beiden. Es sei kein Tag gleich, antwortet Fritz, man hätte wirklich viel Abwechslung. Man arbeite ja schlieÃlich meist drauÃen in der Natur und sei einfach von ihr abhängig. »Wenn im Winter nachts um drei ein Kalb auf die Welt kommt, das ist einfach ein schöner Moment. Das kann man nicht beschreiben«
Erika denkt kurz nach, bevor sie antwortet: »Mmh. Du hast trotz allem immer noch so viele Freiheiten. Und auch dieser Zeitdruck. Der ist nicht so extrem wie in vielen
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