SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
geronnene Masse von der Flüssigkeit und geben sie in runde Formen, in denen die Masse zwischen zwei Brettern ausgepresst und immer wieder gewendet wird.
»Es braucht Liebe, und es braucht Gefühl. Und ein bisschen Können«, sagt er und lacht dabei verlegen. »Ich habe das Käsen vor dreiÃig Jahren gelernt. Und erst mit den Jahren kam die Routine. Am Anfang hab ich noch ein wenig geschlabbert.«
Es ist eine schweiÃtreibende Arbeit. Eine Form wiegt um die fünfzehn Kilo. So hat man sicher schon vor über hundert Jahren Käse gemacht.
Während Fritz, dieser Prototyp eines kernigen Bergbauern, die Formen in regelmäÃigen Abständen mit einem Ruck wendet, erzählt er mir voller Stolz von seinem Alpkäse: »Das ist ein richtiges Naturprodukt. Die Kühe fressen hier ja nur das Gras und die Bergblumen, die bekommen kein Trockenfutter. Wir machen alles von Hand, ohne Maschinen. Und wir geben dem Käse die Zeit, die er braucht, zu reifen. Das ist, was es ausmacht. Deswegen ist unser Alpkäse besser als der schnell produzierte, der industriell hergestellte Käse. Der bekommt Farbstoffe und Chemie zugesetzt, damit er schneller reift. Dann kann man den schon nach zwei oder drei Monaten essen. Unserer reift mindestens ein halbes Jahr. Noch besser schmeckt er, wenn er ein Jahr alt ist.«
Der Käse schmecke bei jeder Alp ein bisschen anders, denn nicht jeder Bauer oder Käser würde ihn gleich machen. Und das sei ja auch das Gute. Wie viel Arbeit denn letztendlich in so einem Käse stecke, will ich von Fritz wissen. Das sei schwierig zu sagen, antwortet er. Darüber habe er sich noch nie Gedanken gemacht, geschweige denn ausgerechnet, wie viel Zeit er aufwende.
»Also, wenn man die Zeit ausrechnet, wäre der Käse sicher auch zu billig. Aber das ist halt so. Was will man machen?«, sagt er seufzend und trägt die drei Laib Käse, die er an diesem Nachmittag gemacht hat, die Treppe herunter und legt sie in die noch leeren Regale. Am Ende des Jahres wird die dunkle und kühle Käsekammer wieder voll sein, Fritz wird wie jedes Jahr circa zweihundert riesige Käseräder à zehn bis dreizehn Kilo mit der Hand gemacht haben.
Zweimal täglich steigt er in die Käsekammer hinab, pflegt und wendet jeden einzelnen Käse. Erst dann sind sie fertig. Wenn die Zeit reif ist, wie der alte Bauer mit dem weiÃen Bart immer wieder grinsend sagt. Nicht wenn Aldi es will.
Es wird Abend, die Kühe werden noch einmal gemolken, dann geht die Sonne unter. Hier oben flieÃt die Zeit, sie marschiert nicht im Takt. Irgendwas ist hier anders. Ich bin müde. Alles ist gut.
Als ich am nächsten Morgen bei den Batzlis im Tal aufwache, sind Erika und Fritz schon seit Stunden auf den Beinen. Das Heu muss eingebracht werden. Ihr Arbeitstag beginnt gegen 5.00 Uhr und endet um 20.00 oder 21.00 Uhr. Entschleunigung hatte ich mir anders vorgestellt. Noch etwas müde treffe ich sie an einem extrem steilen Hang direkt an der DurchfahrtstraÃe. Unter uns donnern Autos, Lkws und, alle halbe Stunde, der Zug nach Gstaad vorbei. Erika und ein befreundetes Pärchen rechen das Heu zusammen, das Fritz vorgestern gemäht hat.
Sobald der kleine Heuwagen voll ist, braust Fritz damit zum Heuschober, um das Heu dort abzuladen und zurückzukommen und wieder neues aufzunehmen. Am Himmel sind dunkle Regenwolken zu sehen. Hinten im Tal baut sich eine Gewitterwand auf. Sie müssen sich beeilen. Es muss jetzt schnell gehen, damit das Heu nicht nass wird und dann auf der Wiese fault. Alle haben hochrote Köpfe. Es ist eine körperlich extrem anstrengende Arbeit, das sieht man. Erika hat eine Plastikflasche mit Wasser am Gürtel hängen. Ich versuche, mich ein bisschen nützlich zu machen, und merke sofort, wie schweiÃtreibend die Arbeit ist.
Erika grinst: »Körperlich ist das schon hart, oder? Aber das fällt mir manchmal erst auf, wenn fremde Leute hier sind, die etwas tun sollen und das dann nicht schaffen. Dann merk ich erst wieder, dass das hier eigentlich schon massive Arbeit ist. Aber es ist nicht so, dass ich andere beneide und denke, die gehen jetzt baden und müssen nicht heuen. Das würde ich jetzt auch lieber. Das plagt mich nicht so, zum Glück. Das plagt mich überhaupt nicht. Das geht mir echt am Arsch vorbei. Ja! Zum Glück.«
Meine bisherige Vorstellung vom guten und entschleunigten Leben kommt hier gerade mächtig ins
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