SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
anderen Berufen. Man macht sich das manchmal auch ein bisschen selbst.«
Wenn ich mich so umschaue, scheint hier gerade wirklich niemand Zeitdruck zu haben. Stattdessen wird munter drauflosdiskutiert. Leider verstehe ich jetzt nur noch die Hälfte. Es geht irgendwie um Politik und ums Bauernsein.
Ganz unabhängig sei man nun auch wieder nicht, schränkt Fritz die absolute Idylle ein. Mit den Kühen sei man zeitlich ja schon ziemlich gebunden. »Die müssen am Morgen und am Abend gemolken werden. Da kann man nicht einfach mal für einen Kurzurlaub zehn Tage ans Meer fahren. Das geht nicht. Zusammen haben wir, Erika und ich, das Meer jedenfalls noch nie gesehen.« Aber man merkt, dass ihnen das auch nicht allzu viel ausmacht. So sitzen wir noch eine halbe Stunde zusammen. Alle sind froh, dass der Alpauftrieb so gut gelaufen ist, dass sich keine Kuh verletzt hat. Wieder ist eine groÃe Aufgabe geschafft.
Nach einer Stunde ausgelassenem Frühstück geht es zurück an die Arbeit. Den Kühen werden die groÃen Glocken abgenommen und die kleinen wieder umgehängt, bevor sie in den Stall der Alphütte zum Melken gebracht werden. Heute, am ersten Tag auf der Alphütte, ist ausnahmsweise fast die ganze Familie zum Melken im Stall. Fritz, der Senior und Erika mit ihrem kleinen Sohn und dem Baby auf dem Arm. Im Stall ist es dunkel, und es stinkt nicht schlecht nach Kuhmist.
»Das ist Valentina«, sagt Erika und deutet auf eine braune Kuh, die sich für meine ungeübten Augen nicht wesentlich von den anderen unterscheidet. »Meine Lieblingskuh. Die hat auch vorhin unsere Hochzeitsglocke bekommen. Ist sie nicht schön? Ich mag Kühe wirklich über alles. Die gehören bei uns zur Familie. Es sind einfach tolle Tiere. Findest du nicht?«
Ich weià nicht so recht, was ich antworten soll. Habe ich mir noch nie Gedanken drüber gemacht. Die stehen halt immer so auf den Weiden herum â¦
Die Batzlis, egal ob Enkel oder GroÃvater, bewegen sich mit beneidenswerter Leichtigkeit zwischen den auf mich riesig wirkenden Tieren hin und her und verschieben sie wie Schachfiguren. Es sieht auf den ersten Blick alles so spielend einfach aus, doch als ich versuche, mir zwischen zwei Kühen Platz zu schaffen, um mich mit Erika zu unterhalten, merke ich, wie störrisch die Biester eigentlich sind. Wieder komme ich mir als weitgereister Stadtmensch in dieser fremden Umgebung ein bisschen unbeholfen und dämlich vor. Erika grinst. Lacht sie mich aus?
Sie sitzt auf ihrem Melkschemel, nimmt etwas Stroh, säubert damit die Zitzen der Kuh, melkt mit der Hand ein wenig vor und stülpt dann den metallenen Melkbecher der Melkmaschine darüber, die dann automatisch weitermelkt.
»Es ist schon schön und nicht selbstverständlich, dass hier drei Generationen miteinander arbeiten und leben können, oder?«, sagt sie strahlend. »Der Alltag ist das nicht. Bei uns Bauern schon, aber nicht überall.«
Ich überlege kurz, wie ich es fände, den ganzen Tag mit der Familie zu arbeiten ⦠Das klingt alles so perfekt, dass man eigentlich nur misstrauisch werden kann. Wo ist das Haar in der Suppe?
»Wir müssen schon Idealisten sein, dass wir das noch machen«, ruft mir Fritz Batzli senior zu, der zwei Kühe weiter auf seinem Melkschemel sitzt und versucht dabei, das Gebimmel der Kuhglocken zu übertönen. Fritz senior ist ein toll aussehender älterer Mann in einem blau-weià gestreiften Melkhemd, mit schlohweiÃem Vollbart und einem verschmitzt-sympathischen Lächeln, der mich an den älteren Dietmar Schönherr erinnert und der so sehr nach Schweizer Bergbauer aussieht, dass er auch einer Fernsehwerbung für Schweizer Käse entsprungen sein könnte. »Hier auf der Alp arbeiten wir sieben Tage in der Woche, da haben wir keinen Sonntag. Da muss man den Beruf lieben, sonst gehtâs nicht. Nein, wenn man reich werden wollte, dann müsste man sofort aufhören mit diesem Beruf.«
Wegen des Geldes halten die Batzlis also nicht an diesem Leben fest. Das ist schon klar. Aber warum dann? Weil sie den Beruf und das Leben als Bergbauern lieben? Weil sie gern im Rhythmus der Natur leben? Weil sie sich ein Leben als Büroangestellte nicht vorstellen können? Ich bin hin und her gerissen. Kuhglocken und Lieblingskühe sind normalerweise nicht die Dinge, mit denen ich mich beschäftige. Soll ich die Batzlis jetzt für etwas
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