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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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Reparaturrechnung für die Melkmaschine erzählt. Er flucht irgendetwas Unverständliches auf Berndütsch und sagt dann zu mir: »Die Kosten steigen und steigen. Wenn wir nicht vom Staat unterstützt würden, ginge es gar nicht mehr, dann wären wir alle Sozialfälle. Aber die brauchen uns noch als Landschaftsgärtner für den Tourismus. Das ist schade, aber es ist so.«
    Â»Wir sind eine Zwischengröße. Zu groß, um zu sterben, zu klein, um zu überleben«, sagt sein Sohn, als wir abends zusammen auf der Terrasse der Alp sitzen. Aber er sieht es mit Galgenhumor: »Vielleicht geht es uns in zehn, zwanzig Jahren wie den Indianern. Dass wir noch die Friedenspfeife rauchen vor unserem Haus und mit so Leuten wie dir reden. Und vom Staat Geld kriegen, dass wir Essen haben.«
    Er lacht. Noch sei es ja nicht so weit. Die Bergbauern seien schließlich Kämpfernaturen, die würden schon nicht so schnell aussterben.
    Den Rest des Abends sitzen wir vergnügt und so gar nicht schwermütig vor dem Haus und schauen der Sonne beim Untergehen zu. Zum Abendessen serviert Marianne, kein Witz, Rösti mit Zwiebeln und Käse. Ich komme mir langsam vor wie in einem schlechten Heimatfilm. Aber der Film gefällt mir.
    Am nächsten Morgen werde ich mit mehreren Kilo köstlichem Alpkäse eingedeckt und muss den Batzlis versprechen, im nächsten Sommer mit meiner Familie zu Besuch zu kommen. Und das habe ich, an diesem Morgen zumindest, auch wirklich vor. Ich bin gespannt, ob es wieder nur ein guter Vorsatz bleibt.
    Die Batzlis, so scheint es mir jedenfalls, haben das gute Leben für sich gefunden: ein Leben im Rhythmus der Natur, und das selbstbestimmt. Dafür kämpfen sie, und darum beneide ich sie.
    Aber nun einfach selbst aussteigen und Käse machen? Ich weiß nicht. So ein Rückzug ins Private wäre mir dann doch zu einfach. Schließlich können wir ja jetzt nicht alle den Job hinschmeißen und Käse produzieren. Und außerdem habe ich mich nicht auf den Weg gemacht, um ein Modell für meinen eigenen Ausstieg zu finden. Ich suche eine richtige gesellschaftliche Alternative zu unserem Beschleunigungssystem. Eine Alternative, die das gute Leben ermöglicht und in der der Lebensstil der Batzlis eben kein Auslaufmodell ist.
    Die Kühe zumindest hab ich jetzt im Griff.

Hartmut Rosa: Ich würde sagen, temporärer Verzicht, also die Optionenbeschneidung, ist ja auch eine Voraussetzung dafür, andere Möglichkeiten wirklich ausschöpfen zu können. Wenn ich also permanent versuche, mir nur alle Optionen offenzuhalten, werde ich keine einzige realisieren. Deswegen würde ich hier eigentlich das Gewicht nicht auf den Verzicht legen, sondern auf die Realisierung von Dingen. Und zwar von selbstbestimmten Dingen. Durch Verzicht kann ich andere Dinge richtig erleben.
    Ich glaube, Glück erfahren wir nicht in Zuständen, in denen wir völlig fremdbestimmt sind, weil wir atemlos durchs Hamsterrad rennen, zum Beispiel im Job. Aber wir erfahren Glück auch nicht, wenn wir gar nichts tun, in der Wellness-Oase, wo wir uns nur verwöhnen lassen. Sondern wir erfahren Glück in dem, was der ungarisch-amerikanische Psychologe Mihály Csikszentmihályi »Flow« nennt. Das heißt in Zuständen eines selbstbestimmten Tuns und Handelns, das mit einem gewissen Spaß, einem gewissen Reiz verbunden ist, aber auch eine gewisse Bedeutung für uns hat – und wo wir, jedenfalls vorübergehend, das Gefühl haben, dass wir ganz bei uns selbst sind. Wenn wir dieses Gefühl haben, dann haben wir nicht mehr das Gefühl eines Verzichts. Also, diese Idee des Verzichtens um des Verzichten willens, glaube ich, führt noch nicht zum Ziel …
    Viele Menschen denken, dass alles ruhig so bleiben könnte, wie es ist, wenn wir nur mehr Zeit hätten, wenn es nicht so hektisch wäre. Aber ich glaube, das geht nicht! Temposteigerung ist nicht etwas, was immer noch dazukommt zu dem bestehenden System, sondern sie ist ein integraler Teil des bestehenden Systems, insbesondere des ökonomischen. Wir können die Welt demnach nicht so lassen, wie sie ist, nur anhalten im Tempo. Entweder wir lassen die ökonomischen Strukturen, die politischen Strukturen, die gesellschaftliche und kulturelle Verfassung so, wie sie sind. Dann müssen wir immer schneller werden, bis wir gegen eine Wand fahren. Oder wir suchen uns ein ganz neues

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