SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit
kleinen Unschärfen und Widersprüche seiner Argumentation lachen kann. Ich hatte ein bisschen befürchtet, hier einen sauertöpfischen Prediger zu treffen. Einige der Artikel, die ich über ihn und sein Projekt gelesen hatte, hatten den Eindruck erweckt oder ihn gar so beschrieben: als verbitterten US-Millionär und Möchtegern-Weltverbesserer mit undurchsichtigen Absichten, der Land sammelt, wie andere Luxusyachten oder Aktien. Ob ihn die Journalisten je selbst getroffen haben? Denn der Douglas Tompkins, den ich hier kennenlerne, ist alles andere als das. Der nimmt auch Rückschläge einigermaÃen gelassen.
Wir sitzen inzwischen in einem kleinen Transporter mit Ladefläche, den Tompkins sich von seinen Arbeitern ausgeborgt hat. Klar, ist ja letztlich wahrscheinlich sowieso seiner, denke ich mir. Er sitzt am Steuer, ich auf dem Beifahrersitz. Wir sind unterwegs zum alten Besucherzentrum und Parkbüro, das zehn Kilometer vom neuen Parkeingang in der nahe gelegenen Kleinstadt Chaitén steht. Besser gesagt: stand. Denn im Jahr 2008 ist Mitten im Pumalinpark ein Vulkan ausgebrochen und hat nicht nur groÃe Teile des Urwalds im Park zerstört, sondern auch Chaitén unter einer Asche- und Schlammlawine begraben.
»Es war kein Vulkanausbruch mit Lavaströmen und so, sondern einer, bei dem explosionsartig Gestein meilenweit in die Luft geschossen und die Umgebung mit Ascheregen und -lawinen bedeckt wurde. Ziemlich gefährlich. Es ist zwar niemand getötet worden, aber die Experten rechnen jederzeit mit weiteren Ausbrüchen. Es gibt immer noch keine Entwarnung. Die Regierung hat Chaitén aufgegeben, die Menschen sind nicht zurückgekehrt. Es ist jetzt eine Geisterstadt.«
Und tatsächlich. Der Ort sieht aus wie nach einem Atomkrieg. Alles ist bedeckt mit einer zentimeterdicken weiÃgrauen Ascheschicht. StraÃen, Brücken, Häuser und Autos, zerstört und fortgerissen von der Aschelawine, teilweise eingestürzt. Die Sonne taucht den Ort in gleiÃendes Licht. Das verleiht ihm einen surrealen Endzeitcharme. Während ich mit Tompkins durch die Stadt gehe, muss ich mir immer wieder in Erinnerung rufen, dass nicht der Mensch diesen Ort so zugerichtet hat, sondern die Natur. Mutter Natur, für die Douglas Tompkins alles tut, hat ihrem Retter einen Strich durch die Rechnung gemacht. Das ist die bittere Ironie.
Doch irgendwie hat der Anblick des zerstörten Ortes auch etwas Magisches. Er ist auf ganz eigenartige Weise wunderschön. Kann mir auch nicht so ganz erklären, wieso. Alles ist weiÃ. Alles seltsam friedlich und still.
Tompkins läuft in sich gekehrt fünfzig Meter vor mir durch die zerstörte Stadt. Ob er immer noch geschockt ist? Oder ähnlich beeindruckt von diesem Bild wie ich? Er bleibt alle paar Meter stehen und macht mit seiner Spiegelreflexkamera Fotos. Dann sagt er plötzlich: »Was für ein Chaos. Wir haben hier alles verloren. Wir hatten hier ein Besucherzentrum, eine Pension, einen Laden und unsere Büros. Das ist jetzt alles kaputt. Hat uns Jahre zurückgeworfen. Bis die Natur sich erholen wird, wird es hundert und mehr Jahre dauern. Das war unser Ground Zero hier.«
Stimmt, denke ich sofort. Zumindest optisch und atmosphärisch passt dieser Vergleich. Diese tödliche, in einem Schleier aus Staub und Asche getauchte Stille erinnert tatsächlich ein wenig an die Bilder der zerstörten Zwillingstürme am 11. September 2001.
»Das konnten wir wirklich nicht gebrauchen. Wie alle hier. Zur falschen Zeit am falschen Ort. Aber was soll man machen? Manchmal hat man eben Glück, manchmal Pech. Diesmal hatten wir Pech.«
Wenn Tompkins von »wir« redet, meint er dabei meist sich und seine zweite Frau Kris. Beide kennen sich seit über vierzig Jahren, lange bevor er sein neues Leben begonnen hat. Und beide blicken auf eine ähnliche Lebensgeschichte zurück. Kristine McDivitt war Geschäftsführerin und Mitbesitzerin der Outdoor-Ausrüstungsfirma Patagonia Incorporated. Nachdem sie und Douglas Tompkis 1994 geheiratet hatten, gab Kris ihre Stelle auf und folgte ihrem Mann in die chilenische Wildnis. Ein paar Jahre später verkaufte auch sie ihre Anteile an Patagonia und gründete eine eigene Stiftung. Seitdem verfolgen sie ihre Mission gemeinsam auf beiden Seiten der Anden. In Chile und in Argentinien kaufen sie Land, um es zu entschleunigen und vor dem gierigen Fraà von Mensch und
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