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SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit

Titel: SPEED - Auf Der Suche Nach Der Verlorenen Zeit Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Florian Opitz
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Abend erreichen wir erschöpft Fiordo Renihué. Es ist schon Ebbe, sodass ich den letzten Kilometer bis zu Tompkins’ Holzhaus mit hochgekrempelter Hose durch Matsch und Muscheln waten muss. Der erwartet mich schon grinsend vor seinem Haus und begrüßt mich: »Hi, I’m Doug.« Wie er dasteht, weißes Haar, die Hände in den Hosentaschen, brauner Lammfellpulli, weiße Schirmmütze, erinnert er mich sofort an den alten und knurrigen Clint Eastwood. Sein Haus ist fast zugewachsen und umgeben von mannshohen Farnen, Wiesen, Beeten und viel Wald. Ich hätte Glück, dass nur meine Füße nass geworden sind, sagt er. Nach Monaten, in denen es hier im patagonischen Winter fast nur geregnet hat, sei heute der erste sonnige Frühlingstag. Er zeigt mir meinen Schlafplatz in der Hütte für die Waldarbeiter und lädt mich zum Abendessen in sein Haus ein.
    Als ich Tompkins vor ein paar Wochen kontaktiert und erzählt hatte, dass ich mich mit der Beschleunigung beschäftigen und ihn deswegen gern besuchen würde, war er begeistert. Be- und Entschleunigung: sein Lebensthema, seitdem er vor über zwanzig Jahren sein neues Leben angefangen hat. Das richtige Leben, wie er sagt. In seinem ersten Leben, dem falschen, war Douglas Tompkins selbst Beschleuniger und ein äußerst erfolgreicher Unternehmer. Vor Jahrzehnten hatte er in Kalifornien zwei Firmen gegründet, mit denen er ziemlich viel Geld verdiente: die Ausrüstungsfirma »The North Face« und die Modefirma »Esprit«. Anfang der achtziger Jahre war Tompkins Herr über Tausende Filialen in zig Ländern und Teil des globalen Jetsets. Doch dann begann er immer mehr am Sinn seines Tuns zu zweifeln.
    Wir sitzen am Esstisch seines Holzhauses in Renihué und essen Spaghetti. Tompkins trinkt heißes Wasser. Früher habe er ziemlich viel Kaffee getrunken, bis ihm ein Arzt mal geraten hat, darauf zu verzichten. Seitdem heißes Wasser. Im Kamin lodert ein Feuer, auf dem Tisch stehen Kerzen. Auf Tompkins’ Hof gibt es nur ein paar Stunden am Tag Strom, wenn der Dieselgenerator läuft.
    Â»Damals habe ich erkannt, dass ich Teil des Problems war, nicht Teil der Lösung. Mir wurde klar, dass wir Produkte mit einer extrem kurzen Lebensdauer produzieren. Nicht, dass sie physisch kaputtgehen würden, aber alles war so angelegt, dass sie schnell aus der Mode kommen und das Bedürfnis wecken, wieder neue und mehr davon zu kaufen.«
    Jedes Jahr eine neue Frühlings-, Sommer-, Herbst- und Winterkollektion. Das sei so irrsinnig und fresse so unglaublich viele Ressourcen. Auch wenn es im Vergleich zu heute, wo die Kollektionen noch viel häufiger wechselten und die Kleiderberge noch viel größer seien, damals fast harmlos gewesen wäre. Ihm sei klar geworden, dass er so nicht weitermachen wollte und konnte. Deswegen hat er seine Anteile verkauft. Seine damalige Frau, die die andere Hälfte von Esprit besaß, verstand die Zweifel ihres Mannes nicht. Sie ließen sich scheiden, er flog nach Patagonien, das er von früheren Reisen kannte, und kaufte einem Europäer, der nie dort gelebt hatte, eine Schaffarm und die Wälder drum herum ab. Für 700 000 Dollar. 17 000 Hektar. Fiordo Renihué. Er zog in das alte windschiefe Farmhaus, hatte kein Telefon und keinen Strom. Aber dafür ein neues Leben.
    Bedacht auf jede Kleinigkeit, hat Tompkins das Haus in den nächsten Jahren umgebaut, seine Kunst, die er als Industrieller gesammelt hatte, verkauft. Und wenn ein Nachbar sein Land aufgeben oder veräußern wollte, kaufte er es ihm für einen fairen Preis ab. So kam im Laufe der letzten zwanzig Jahre ein riesiges Gebiet zusammen. Er engagierte Bauern und Schafhirten aus der Gegend und ließ sie auf den erworbenen Grundstücken Zäune und Hütten abbauen und stattdessen Bienen und Baumsetzlinge züchten, Beeren und Obstbäume pflanzen. Was treibt ihn an?
    Â»Die Qualität des Lebens auf der Überholspur ist nicht gut«, sagt er am Ende unseres ersten gemeinsamen Abends. »Dieser Hightech- und Hochgeschwindigkeitslebensstil ist eine Sackgasse und führt zum Totalschaden. Wir müssen die Notbremse ziehen und endlich langsamer leben. Wir müssen wieder eine Balance mit der Natur finden. Und das versuchen wir hier.«
    Eine kurze Grundsatzrede, dann verabschiedet er sich ins Bett. Das scheint typisch für Tompkins. Er weiß, wie man die Spannung hoch

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